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Institut für Musikforschung

Bode-Melochord

Bode-Melochord (1949/1950) – Ate 1

Ruine eines Elektrischen Musikinstruments von Harald Bode (1909–1987). Erhalten sind zwei Fragmente:

1) Bauteil mit Frontpanel und Konstruktionsplatte: Breite (Panel) 95,2 cm; Höhe 18 cm; Tiefe (ohne Bedienelemente, Zierleiste und rückwäriger Halterung) 18,5 cm
2) Klaviaturgrundlage (deformiert): Breite 95 cm; Höhe ca. 5 cm; Tiefe 7 cm

Das Melochord von Harald Bode ist kein fixierter Typus eines Musikinstruments. Vielmehr bezeichnet der Name eine experimentelle Baureihe, die den Übergang vom geschlossenen Elektrophon zur modularen Konzeption des elektronischen Instruments im Kontext von Studio-Umgebungen in sich abbildet.

Nach der Konstruktion einer vierstimmigen Kino-Orgel (Warbo-Formant-Orgel, 1937) entwickelte der Hamburger Physik-Absolvent Bode, der seine Studien am Berliner Institut für Schwingungsforschung fortsetzte, sein einstimmiges und anschlagssensitives Klaviatur-Elektrophon Melodium, das erfolgreich in der ersten Hälfte der 1940er Jahre für prominente Filme der UFA außergewöhnliche Klänge beisteuerte. Nach dem zweiten Weltkrieg lebte Bode mit seiner Familie im Dorf Neubeuern (bei Dachau) und entwickelte das zweistimmige Melochord. Ein Artikel im Wochenmagazin Der Spiegel vermittelt einen anschaulichen Eindruck von den Lebensumständen des Klangforschers in der Bayerischen Provinz. Ihm ist aber auch zu entnehmen, dass Bode daran gelegen war,  sein Instrument bekannt zu machen: "Harald Bode führte sein Melochord einem kleinen Kreis von Sachverständigen vor. Radio München sicherte es sich sofort als Leihgabe und will das Melochord schon in Kürze als Soloinstrument mit großem Orchester einsetzen. Vor allem aber scheint ihm das Melochord geeignet zur musikalischen Untermalung phantastischer Hörspiele, für die Mark Lothar im Auftrag von Radio München die Musik schreibt."

Offenbar versuchte Bode an seine musikalischen Vorkriegsaktivitäten anzuschließen. Das Melochord präsentierte er auf der Münchner Radiotechnik-Ausstellung von 1948. Das Instrument fand mit Bode als Musiker rasch Einsatz in Radiomusikproduktionen und im Sounddesign für Film- und Hörspielproduktionen von Radio München. In diesem Stadium war das Instrument ein Stand-Alone: eine klanglich hochvariable zweistimmige elektronische Orgel mit eigenem Lautsprechersystem, die zum Koffer zusammenfaltbar und transportabel war. Die folgenden Stadien des Melochordbaus bezeichnen den Übergang vom geschlossenen System zu einem offenen durch die Integration von Schnittstellen und die konzeptuelle Redefinition der traditionellen Ambitus-Bereiche als interkonnektible Kanäle.

Der Bonner Akustiker und Phonetiker Werner Meyer-Eppler wurde in den 1940er Jahren auf Harald Bodes Melochord aufmerksam. Im Zuge seiner langjährigen Auseinandersetzung mit allen Arten elektrischer Klangerzeugung trugen Meyer-Epplers Forschungsinteressen deutliche Züge einer Pragmatik: Wie kann etwas erzeugt, wie verändert werden? So interessierten ihn elektrische Musikinstrumente nicht so sehr als Bereitsteller vorkonfektionierter Klänge, sondern als praktikable Vorrichtungen, die bestimmte Verfahren der Klangerzeugung und der Klangmodulation erleichtern. Dabei suchte er stets nach ingenieurstechnischen Konstruktionen, die eine große generative Vielfalt ermöglichen.

Im September 1949 hatte Bode Meyer-Eppler ein Demonstrationstonband mit Erläuterungen und Klangbeispielen seines Melochords geschickt. Meyer-Eppler hebt in seiner Antwort vom 26. September 1949 bestimmte Klangeigenschaften hervor: "Besonders interessant waren für mich die gezupften Bläserklänge mit verschiedenem Dämpfungsdekrement. Die scheinbare Änderung der Klangfarbe oder besser des Klangcharakters beim Übergang vom stationären zum nichtstationären Klang ist frappant. Für den Musikwissenschaftler ergeben sich hier noch mancherlei Perspektiven. | Mit Herrn Dr. Thienhaus hatte ich übrigens während der gestern beendeten Physikertagung hier eine angeregte Diskussion über den Wert der elektronischen Musikinstrumente für die neue Musik und bedaure es sehr, dass ich ihm Ihr Band nicht mehr vorführen konnte; es hätte ihm gewiss einen anderen Eindruck von der Sache vermittelt als es eine Hammond-Orgel tun kann." (Vgl. Edition des Briefwechsels in Ungeheuer/Wiener 2018)

Sein Briefwechsel mit Bode um 1950 herum belegt, wie er dies im Melochord verwirklicht sehen wollte. In diesem Stadium verfügte das Melochord, das er bei Bode 1949 in Auftrag gab, über Schnittstellen für externe Klangabnehmer, -erzeuger, Filtereinheiten und einen Signalausgang, der die elektronische Speicherung der Klänge auf Magnettonband (ohne den Zwischenschritt einer mikrophonischen Abnahme) erlaubte. Es ermöglichte darüber hinaus, die jeweiligen Einstellungen mithilfe von Mess-Skalen, die hinter den Drehschaltern für Lautstärke, Dämpfung und als Novum auch für die Zeitkonstante der einstellbaren Formanten angebracht waren, differenziert zu protokollieren. Die Minimalkonfiguration eines Studios für elektronische Komposition, die Meyer-Eppler 1953 skizzierte, sah den Platz des elektronischen Instruments als integrierendes Medium zwischen Generatoren und Filtern in einer Kette mit der Speichereinheit, die aus wenigstens zwei gegenseitig bespielbaren Aufnahmegeräten und einer akustischen Kontrolleinheit bestand.

Mit dem Melochord als Klangproduzenten und -modifikator stellte Meyer-Eppler eine Reihe von Klangmodellen her, auf die bis 1953, als Stockhausen im Studio für Elektronische Musik des NWDR Köln zu arbeiten begann, die frühen elektronischen Kompositionen zurückgriffen. Auf Vermittlung Meyer-Epplers baute Bode zudem für das Kölner Studio das letzte Melochord seiner Serie, bei dem er die Klaviaturteilung auf zwei Manuale ausfaltete und die beiden ansteuerbaren Domänen als Kanäle der Klangmanipulation begriff: Mittels einer verbindenden Schalterebene war es auf dem neuen Instrument möglich, mit einem Manual die Tonhöhe zu steuern, mit dem anderen die Formanten bzw. die Klangfarbe wandern zu lassen.

Mit dem Polychord versuchte Bode 1950/51 eine serienfähige elektronische Orgel auf den Markt zu bringen (Apparatewerk Bayern, Dachau: Polychord III). Bode wurde 1954 von der Estey Organ Company angeworben und übersiedelte rasch in die USA – angesichts des mäßigen kommerziellen Erfolges in Deutschland und gewiss auch ermüdet durch die Anfeindung elektronischer Instrumente durch konservative Teile der Kirchen (vgl. Text von L. Swientek zu Elektronischen Orgeln in der Kirche PDF). Nach dem Bankrott von Estey entwickelte er 1961 den ersten modularen Synthesizer (Audio System Synthesizer), der Robert Moog zu seinen ersten Synthesizermodellen inspirierte. Konsequenterweise entwickelte Bode nun primär nicht mehr Instrumente sondern Module: einen Klangumwandler (Frequency Shifter), der von Vladimir Ussachevski im Studio des Columbia-Princeton Electronic Music Center ausgiebig verwendet und in Moogs Synthesizer integriert wurde, und den 16-kanaligen Bode Vocoder, der als Lizenzmodell (als Sythesizermodul und als 16"-Rack-Element) auch von Moog vertrieben wurde.

In einem Interview im SYNE magazine 1980 erinnert sich Bode folgendermaßen an die Melochord-Baureihe: "It was used on the German Broadcasting System, especially in Munich. It was not a production instrument (commercial product, that is), it was built and used by myself and was leased out to movie companies and for use in recordings with bands. It was also featured in a band I travelled with (as well as recorded with) in Germany. A second Melochord was commissioned by the Bonn University through Meyer-Eppler, who also initiated the work of Dr. Enkel at the Cologne Electronic Music Studio. This is how the Melochord was commissioned by the Cologne Electronic Music Studio. It was used by Karlheinz Stockhausen thereafter. Also, a Melochord was built for use by the NWDR in Hamburg and for a theatre in Munich, and a few others but it was not a mass production item.” – Es gab demnach mindestens sieben Realisationen der Idee Melochord, wenn unter "a few others" wenigstens zwei weitere Auftraggeber zu verstehen sind.

Das Konzept elektrischer Klangerzeugung mithilfe von Kanälen und Modulen lag den späteren Bode-Melochorden zugrunde. Ob Karlheinz Stockhausen das Kölner Melochord tatsächlich verwendet hat, ist zweifelhaft. Im Kölner Studio fand Bodes zukunftsweisendes Design eines Spielinstruments durchaus keine Würdigung. Unter dem Eindruck der überwiegend rückwärts gewandten Inszenierungen elektrischer Musikinstrumente in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lehnten der Toningenieur Robert Beyer, der die Initiative für die Einrichtung eines elektronischen Studios ergriffen hatte, und die Komponisten Stockhausen und Gottfried Michael Koenig Spielinstrumente, insbesondere solche mit Klaviatur, pauschal ab. Im Sinne von Edgard Varèses Idee, Musik im Laboratorium entstehen zu lassen, wurden ab 1953 Klänge und Klangfolgen konsequent mit den nachrichtentechnischen Geräten des Rundfunkstudios realisiert (v.a. Schwebungssummer, Rausch- und Impulsgenerator, Filter, Ringmodulator, Tonband).

Meyer Epplers Instrument wurde nach dem Rückbau seines Bonner Studios in den 1960er Jahren eingelagert und erlitt offenbar einen schweren Wasserschaden, bei dem das Chassis zerstört wurde. Die Instrumenten-Ruine wurde 2018 durch die Master-Studentin Denise Besser im Studiengang Restaurierung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin behutsamen Restaurierungsmaßnahmen unterzogen. – Das Instrument war 2017 als Leihgabe auf der Ausstellung "Kunst in Bewegung. 100 Meisterwerke mit und durch Medien. Ein operationaler Kanon" vom 14.07.2018 – 20.01.2019 am Zentrum für Kunst und Medien Karlstuhe (ZKM) zu sehen.

Der Verbleib des Kölner Melochords wie aller weiteren Exemplare des Typs bleibt unklar.

Literatur

Anon., Sphärenklänge aus der Scheune, in: Der Spiegel 10/1948, p. 35.

Harald Bode, Das Melochord des Studios für Elektronische Musik im Funkhaus Köln, in: Technische Hausmitteilungen des Nordwestdeutschen Rundfunks 6 (1954), S. 27–29.

Peter Donhauser, Elektrische Klangmaschinen. Die Pionierzeit in Deutschland und Österreich, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2007.

Thomas L. Rhea, Bode’s Melodium and Melochord, Contemporary Keyboard magazine, January 1980,
p. 68; reprinted in eContact! 13.4 (2011), (econtact.ca/13_4/rhea_bode_melodium.html)

[Issue on Harald Bode:] eContact! 13.4 (2011), guest editor: Rebekkah Palov, http://econtact.ca/13_4/index.html.

Elena Ungeheuer und Oliver Wiener, Between Mass Media, Entertainment Electronics and Experimental Music: Harald Bode’s Melochords in the Intersection of Many Interests, in: Musique, Images, Instruments 17: Instruments électriques, électroniques et virtuels, hrsg. von Florence Gétreau und Marc Battier, Paris: iremus –CNRS Éditions 2018, S. 167–191. PDF.

Simon Crab, The 'Melochord', Harald Bode, Germany, 1947, in: 120 Years of Electronic Music, https://120years.net/the-melochordharald-bodegermany1947/.

Harald Bode Archiv am ZKM Karlsruhe, Link.

Peer Bode, Rebekkah Palov und Tom Rhea: The Art of the Sound Physiker | A Conversation about Harald Bode, ZKM Karlsruhe 13.07.2021, Link.

{Elena Ungeheuer / Oliver Wiener; 2021-07-20}