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Institut für Musikforschung

Maultrommeln (Jew's Harp, global) – R 1-2, Lo 3-7, Lo 17, W 3-7


lat. crembalum/trombula, im 19. Jh. Brummeisen, auch Mundharmonika, engl. jew's harp, jaw harp, mouth harp, trump, dän. jødeharpe, ital. scacciapensieri/marranzano, frz. guimbarde, span. arpa de boca, tschech. brumle, ungar. doromb, türk. ağız kopuzu.

Zupfidiophon (Hornbostel/Sachs 121.2: "Die Zunge sitzt innerhalb eines stab- oder plattenförmigen Rahmens und bedarf des Mundes als Resonators"). Durch Veränderung der Mundhöhle, werden unterschiedliche Obertöne angeregt, wobei die Grundfrequenz immer enthalten ist. Daher zählt die Maultrommel auch zu den Borduninstrumenten. Zur klanglichen Gestaltung wird neben dem Mund- und Rachenraumvolumen auch der Atemstrom eingesetzt. Je enger die Zunge am Rahmen schwingen kann, desto reichhaltiger ist der Partialtongehalt. Das Instrument ist in unterschiedlichen Bauformen mit unterschiedlichen Materialien (bis hin zur geschnittenen Plastik-Telefonkarte) weltweit verbreitet.

Die ältesten Instrumente sind wahrscheinlich die idioglotten asiatischen Bambus-Maultrommeln. Idioglott bedeutet, dass die Zunge aus dem Rahmen herausgeschnitten ist und mit ihm an der Wurzel zusammenhängt. Bei Metall-Bügelmaultrommeln dagegen, die v.a. in Europa, Zentralasien und Südindien (morsing) verbreitet sind, handelt es sich um heteroglotte Instrumente, d.h. die elastische Zunge ist auf dem stabilen Rahmen befestigt. Es gibt aber auch idioglotte Messinginstrumente, die Đàn môi aus Vietnam und die Kou Xian aus Yunnan, China. Bei den Bügelmaultrommeln werden die Schenkel leicht an die Schneidezähne gelegt, so dass die Federzunge in den geöffneten resonierenden Mundhohlraum schwingen kann. Die idioglotten Instrumente werden dagegen werden zwischen den Lippen oder schlicht vor den geöffneten Mund gespielt.

Neben den Lippen- und Zahn- gibt es die Zupfmaultrommeln, die mit einem Faden gezupft werden, auf diese Weise gezupft werden z.B. die taiwanesischen Datok und Lubu. In Indonesien gibt es ferner Klopfmaultrommeln (Sago). Eine Übersicht über die verschiedensten Bauformen ist auf der Website des Weltmusikinstrumentenhändlers Dan moi in Taucha (bei Leipzig) möglich, vgl. ferner über 60 Maultrommeltypen auf antropodium.nl.

Im süddeutschen 18. Jahrhundert wurden bisweilen Konzerte für Maultrommel geschrieben (z.B. Johann Georg Albrechtsberger, mit Mandora). In der instrumentenbautechnisch beweglichen Phase um 1800 gab es einige Experimentierer: Der Akustiker Johann Heinrich Scheibler (1777–1837) etwa baute ein Instrument, die "Aura", das aus einer Tragscheibe mit bis zu zehn montierten Maultrommeln bestand. In der Kolonialisierung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts fand die europäische Form der Maultrommel weltweite Verbreitung. So konnte sie Hans Werner Henze semantisch klar konnotiert 1970 im Rezital El cimarrón verwenden, um die Person des geflohenen Sklaven zu charakterisieren. Als Klang-Effekt oder rhythmischer Bordun findet sie in einigen Pop-, Rock- und Metal-Liedern Verwendung. Ein Fall hochwirksamer medialer Prägung durch das Kinder-Fernsehen besteht darin, dass seit den 1970er Jahren der Klang des Instruments im Westen mit dem Titelsong der Sesamstraße assoziiert wird oder auch allgemeiner mit Hüpfbewegungen in Trickfilmen (z.B. der Grashüpfer Flip aus der Serie Die Biene Maja).

Typischerweise kennt man die Maultrommel heute in Europa als Teil eines traditionellen Instrumenten-Repertoires im weiter gefassten Alpenraum (von Ungarn und Slowenien über die deutsch- und italienischsprachigen Alpenländer bis nach Frankreich und weiter nach Sardinien und Korsika). Der Skopus hat sich aber seit den 1990er Jahren abermals global geweitet. Die Maultrommel hat aktuell einen stabilen Ort in den sich überschneidenden Communities von traditioneller Musik und Weltmusik (Festivals, vgl. International Jew's Harp Society). Die Kombination von Maultrommel und Obertongesang in der tuvinischen Musik fand durch die international tourenden stilistisch und klanglich versatilen Gruppen Huun-Huur-Tu und Yat-Kha in den 1990er Jahren breite Beachtung.

R 1: Moderne Maultrommel

1950er Jahre, laut Etikett aus Molln (Oberösterreich), Schlagstempel AUSTRIA im Bügelscheitel. Schmiedeeiserner Vierkantbügel mit rautenförmigem Querschnitt, gebläute Stahlzunge. Länge (Scheitel bis Bügelende) 6,4 cm, max. Bügelbreite 4,17 cm, Zungenton es. Zur Archäologie und Geschichte der Mollner Maultrommelbaukunst vgl. die historische Seite des Österreichischen Maultrommel-Vereins.

R 2: Maultrommel

Österreich, 19. Jahrhundert. Schmiedeeiserner Vierkantbügel mit rautenförmigem Querschnitt, gebläute Stahlzunge. Länge 5,04 cm, max. Breite 3,7 cm, Zungenton h. Provenienz (beide): Sammlung Rück.

Lo 4a und 4b: Maultrommelpaar

modern (1980er Jahre). Eiserner Vierkantbügel, maschinell in Form gebogen, mit rautenförmigem Querschnitt, gebläute Stahlzunge; vollständig mit rötlichem Lacküberzug. Lo 4a: Länge 7,4 cm, Breite 5,5 cm, Zungenton Es. Lo 4b: Länge 11,1 mm, Breite 7,7 cm, Zungenton F1.

Lo 3: Doppelmaultrommel

Österreich 1979. Eingestempelte Patentnummer auf der Seite der kleineren Zunge: PAT N A 1168/78 | PAT N 18836-/M. Schlagstempel mit Herstellersignet TRADE MARK | AUSTRIA. Aus 1,5 mm dickem Stahlblech gestanzt und in Form gepresst. Mit aufgenieteten Bügelchen arretierte Zungen. Max. Länge 12,1 cm, max. Breite 6,2 cm, Zungentöne f und es (früher wohl Quintabstand). Dieser Maultrommeltyp wurde nach Auskunft von Dr. Franz Kumpl (Vereinsobmann des Österreichischen Maultrommelvereins und Präsident der International Jew's Harp Society) in den 1970er Jahren von der Firma Schwarz in Molln hergestellt, die heute hauptsächliche Steirische Harmonikas und Akkordeons herstellen, jedoch als Maultrommelhersteller begann. Heute sind ihre Maultrommeln eher Souvenirinstrumente. – Die Firma Schwarz ist eine der drei verbliebenen Maultrommel-Produzenten in Molln. Die zwei anderen sind Franz Wimmer (Export-Massenproduktion, jedoch gut spielbare Instrumente) und Sepp Jofen-Hörzing (Produzent von Maultrommeln für seriöse Maultrommel-Spieler).
Provenienz (alle mit Lo): Sammlung Thomas Loelgen.

Lo 17: Čang (Chang)

persische (Zahn-)Maultrommel, Iran 1970er Jahre. Schlagstempel persisch (tal?k?b, wohl Talakub, möglicherweise der Herstellername). Bügel aus Eisen, am ovalen Bügelteil rund, an der Gabel rautenförmiger Schnitt. Für diesen Typ üblich, ist die Zunge spielerseitig in einem kleinen Ausschnitt, der zweiseitig laschenartig über ihr schließt, in den Bügel gelötet und gehämmert. Länge 5,6 cm, Bügelbreite 3,8 cm, Zungenton ca. h.

Lo 7: Uzbek-čang

vielleicht Afghanistan, Mitte 20. Jahrhundert (?). Handgeschmiedetes Eisen, gabelförmig, fast parallel zum Ende geführte, im Querschnitt rautenförmige Vierkant-Bügelarme, spitz zulaufend. Bügellänge 4,1 cm, Bügelbreite max. 1,3 cm. Länge der durchgehenden Zunge bis zum Knick: 9,7 cm, ab Lötstelle am Rahmen bis zum Knick 4,9 cm, Anzupfpartie 1,7 cm, Ende schneckenförmig gedreht und seitlich platt gehämmert. Zungenton b. – Zwischen dem mittleren Osten und der indischen Halbinsel wurden Maultrommeln in den (semi-)nomadischen Bevölkerungsgruppen beliebt. Der grundlegende Unterschied zwischen den stabilen Morchang- und Morsing-Typen Indiens und den dünnen Maultrommeln der Usbeken in Afghanistan liegt auf der Hand. Der čang-Typ war ein gängiges Souvenir für Europäer, die in den 1960er bis 70er Jahren den Nahen Osten bereisten. Damals waren solche Instrumente (etwa in England und Holland) leicht zu kaufen, inzwischen sind sie rar.

Lo 5/6: Kubing, zwei Lippenmaultrommeln

aus Bambus, Philippinen (Süden, Volksgruppe Maranao). Länge 24,7 bzw. 24,5 cm, Breite (Griff) max. 2,2 bzw. 2,3 cm, an der Zunge 1,25 cm. Zungenton e. Am Griff Schnitzrelief mit Palmenblattornamenten. Vgl. Fekke de Jager: Music Instruments from the Philippines (2005–2011): Kubing. Provenienz Lo 3–7: Sammlung Loelgen. – Soundfile Lo 5 hier. Zungenprofil vgl. Zeichnung unten.

W 3a/3b: Dan moi

(Đàn môi, wörtl. Lippen-Laute), Vietnam. Traditionellerweise ein Instrument der Hmong (viet. Mẹo). Zwei Messing-Maultrommeln, Zungentöne im Quintabstand: E und H. Messing (jeweils ein Stück), ca. 0,5 mm dick, gestanzt, an der Zupfspitze und an der Innenseite (Mitte, zum Feinstimmen des Instruments und an der Wurzel zur Erhöhung der Schwingflexibilität) gefeilt. Spitz zulaufende Form, am Lippenansatz als Lasche einfach (90°) eingebogen, beim kleinen Instrument am Ende mit weiterer Lasche. Länge: 10,15 bzw. 7,5 cm, max. Breite: 0.95 bzw. 0,9 cm. Zungenlängen 4,95 cm bzw. 3,6 cm. Zum Ende hin spitz ausgeschnittene Zunge, an der Wurzel in beiden Fällen 4 mm.
Futterale: Offene stoffbandumwickelte Bambusfutterale (10,8 bzw. 8,6 cm), jeweils Loch im Boden, durch welches der Faden, befestigt am Ende des Instruments, geführt wird. Bei verstautem Instrument wird der Faden nahe der Öffnung um das Futteral gewickelt und mit einem dreieckigen genähten Stoffstück befestigt, das in die letzte halbe Wickelrunde eingezogen wird. – Aufgrund des minimalen Abstands von Zunge zu Rahmen weist die Đàn môi ein sehr volles, stabiles Spektrum auf (vgl. Sonogramm in der Bildleiste: von geöffnetem Rachenraum ["o"] über allmählichem Heben der Zunge an den Gaumen bis "i"; Soundfile hier).

Die Feilenspuren auf der Rückseite des Instruments (85–90° zur Zunge) verraten etwas darüber, wie es gestimmt wird, nämlich durch Materialabtragung (in vergleichbarer Weise, wie Tonzungen eines Akkordeons gestimmt werden). Eine Abfeilung bzw. Gewichtsabtragung am vorderen, frei schwingenden Ende der Zunge bewirkt, dass sie schneller schwingt – der Ton wird höher. Wird in der Nähe der Wurzel (bzw. des Zungenfußes) Material abgetragen, wird die Schwingung langsamer – und der Ton tiefer. – Zum Schwingungsverhalten einer Dan moi vgl. die instruktive Hochgeschwindigkeitsaufnahme der Systematischen Musikwissenschaft an der Universität Wien (Jörg Mühlhans, Arnold Esper, Christoph Reuter).

W 4: Kou Xian

(Kouxian, Mandarin: 口弦, Mund-Saite), Vierblattfächer. Der Name ist ein übergeordneter Begriff für eine Vielfalt chinesischer Maultrommeln. In den chinesischen Dialekten gibt es viele Bezeichnungen, eine weiter verbreitete davon ist "Hoho". – Länglich blattförmig geschnittene, in der Zungenwurzelhälfte (Zupfseite) gefeilte, am Lippenansatz umgeknickte
Messingplättchen von ca. 0,2 mm Dicke. Zungentöne in der Reihenfolge des Sets: e1, h1, fis1, a1. Längen: 5,6 cm, 5,2 cm, 5,1 cm, 5,2 cm. Zungenlängen: 3,1 cm, 2,4 cm, 3 cm, 2,5 cm. Offenes Bambus-Steckfutteral mit rot und grün gefärbter punktierter Bogen- und Band-Ornamentik, 7,7 cm.

W 5: Gue Gueq

Bambusmaultrommeln, drei in einem Set. Instrument der Minderheit Na Xi im Südwesten der Volksrepublik China (südöstliche Ausläufer des Himalaya, Zentrum ist die bezirksfreie Stadt Lijiang in der Provinz Yunnan). Gesamtlängen der Instrumente: 10,6–10,7 cm. Zungentöne: ca. cis, gis, c1. Zungenlänge: 4–4,1 cm. – Mit Tusche (?) dekoriertes Bambus-Futteral 17 cm, Verschluß Styroporstöpsel mit genähter roter Polyesterverkleidung. – (Hier ein Video zur Herstellung einer Gue Gueq.) Maße vgl. Zeichnung; Profilzeichnung der Zunge im Vergleich vgl. Zeichnung unten.

W 6: Angkuoch

Bambus-Maultrommel, Kambodscha. Ohne Motiv. Länge 23,3 cm, Breite 1,5 cm. Zungenlänge 9,7 cm, Zungenton F. Ende spitz zulaufend (4 mm). Profilzeichnung Zunge vgl. Zeichnung unten.

W 7: Gogona

Bambus-Maultrommel, Assam (Indien). Länge 23 cm, Breite 1,8 cm. Zunge 9,2 cm, Zungenton: H. Schwarze Filzstiftaufschrift des Herstellers: "MFG BY BKP KAMRUP Assam". Profilzeichnung der Zunge vgl. Zeichnung unten.

 

Die Maulrommeln W 3 bis W 7 wurden am 22. Juni 2014 beim Laden Dan Moi Weltmusikinstrumente (Clemens Voigt & Sven Otto GbR | Grassdorfer Str. 52 | D–04425 Taucha) online gekauft. Ihre Herstellung liegt kaum über fünf Jahre vor dem Kaufdatum. Der Gesamtpreis der überwiegend handfabrizierten Instrumente betrug € 84,70.

ow {2014–06–25/r 2014-11-08}