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Institut für Musikforschung

Aufnahmen Erhard Schulz: Tende

Tende

Das Wort tende bezieht sich auf die Mörsertrommel, den dazu gehörenden Musikstil sowie den gesellschaftlichen Anlass zur Aufführung dieser Musik. Sie steht im Mittelpunkt von zwei wichtigen musikbegleiteten Ereignissen, den "Kamelparaden" und "Heilungszeremonien". Zudem dient sie zur Begleitung von spontanen Tanzaufführungen. Sie ist die Musik der einfachen Tuareg. Das Spiel der tende erfordert keine große Anstrengung und langjährige Spielerfahrung. In den Städten findet die tende-Musik nach und nach Anwendung.

Die tende-Trommel (siehe Abb. 6) besteht aus einem großen hölzernen Mörser, wie er im Haushalt zum Mahlen von Hirse (enele) und anderen Getreidesorten zum Einsatz kommt. Er wird mit einer befeuchteten Ziegenhaut überzogen. Dazu braucht man zwei etwa 1,25 m lange Holzstößel (ezzaghast). Die Haut wird über die Öffnung des Mörsers hinaus bespannt und um die waagerecht und mittig zu beiden Seiten des Mörsers platzierten Holzstößel herumgewickelt. Zwischen den Enden der Stößel werden Schnüre gespannt, die ein Netz formen. Darauf wird ein Gewicht gelegt (ein Stein oder Ziegel) oder die Frauen setzen sich darauf. Das Gewicht drückt die Stößel nach unten, wodurch die Spannung des Trommelfells erhöht und nach Wunsch verändert wird. Eine solche Konstruktion gibt es bei keiner anderen Trommel. Gelegentlich wird die Haut mit Wasser berieselt. Dies hält die Haut feucht, weich und geschmeidig. Bisweilen wird der Mörser, bevor die Haut überspannt wird, mit Wasser gefüllt. Kippt man den Mörser während der Aufführung, so wird die untere Hautseite befeuchtet. Eine trockene Haut erzeugt keinen schönen Klang. Wenn kein Mörser zur Verfügung steht, dient ersatzweise ein Benzinkanister (einige Tuareg bevorzugen auch den Klang der Kanister).

Die tende wird mit den Fingern und Handballen am Rand oder in der Mitte jeweils mit unterschiedlichem Ton- und Klangergebnis geschlagen. An der Frage der Herkunft und des Ursprungs der tende-Trommel scheiden sich die Geister. Es steht jedoch fest, dass sie keine prominente Rolle im Musikleben der Tuareg vor den 1930er Jahren hatte.

Die tende n-ǝmnas (Mörsertrommel der Kamele)

Diese wird zu einer Hochzeit, einer Geburt, einem Besuch von Ehrengästen und vielen anderen feierlichen Anlässen aufgeführt. Die Frauen sitzen im Kreis auf dem Sandboden, singen und klatschen mit den Händen, wobei ihre silbernen Armreifen klingeln. In der Mitte des Kreises trommelt eine oder zwei Frauen abwechselnd auf der tende. Außen herum umkreisen Männer in Dreiergruppen auf Reitkamelen (meharis) die Frauengruppe, in einer Art, welche die Tuareg ilaguan (etwa „Fantaise“) nennen (siehe Abb. 5). Die Trommelrhythmen sollen den Kamelgang nachahmen und die Männer lassen die Tiere in diesem Rhythmus schreiten. Sie stellen ihre Reitkunst dar, während sie mit den Frauen flirten. Dabei erhalten sie die eingesessenen traditionellen Tugenden männlicher Tapferkeit und Galanterie lebendig. Mit der Urbanisierung dieser ursprünglich nomadischen Gesellschaft wurde die tende n-ǝmnas zunehmend aus ihrem eigentlichen Zusammenhang gerissen aufgeführt. In manchen Gegenden spielen auch Männer die tende. In den Liedern der tende n-ǝmnas werden Kamele besungen, ihre Schönheit und besonderen Leistungen. Der Besitz eines prächtigen Kamels reicht als Anlass aus, des Besitzers mit einem Lied zu gedenken. Texte loben auch gute Reiter, ihre Reitkünste, Fähigkeiten und ihre Beziehung zu den Tieren. Obwohl sehr oft Bezug auf das Kamel genommen wird, geht es letztlich um den Menschen auf dem Tier. Zudem bilden Liebeslieder und Spottlieder einen erheblichen Teil des gesungenen Repertoires. Lieder werden auch an aktuell laufende Geschehnisse angepasst.

Beispiel tende n-ǝmnas

Unter den nördlichen Tuareg-Gruppen wird die weibliche Gesangsstimme häufig mit einem Bordun eines Frauenchors (timaghatan) unterlegt. Südlich der Wüstenregion Tamesna im Nordwesten des Niger wird ein Bordun selten gebraucht, außer in den Salzebenen um die Kleinstadt Ingal westlich von Agadez, wo in der Regenzeit, insbesondere während der sogenannten cure salé, sich die Tuareg mit ihren Herden versammeln, um Hochzeiten und andere Feste zu feiern. In der Regel wird im Süden der durchgängige Bordun des Chors durch einen sich gleichförmig wiederholenden Ostinato (tamazelit) ersetzt.

Die tende n-tagbast (die Tanz-tende)

Im Niger tanzen die Männer der Inaden (Schmieder, Handwerker; praktisch alle Leute, welche die gesamte materielle Kultur der Tuareg hervorbringen) zu den tende-Rhythmen der Frauen bei Geburtsfeiern, Hochzeitsfesten und anderen fröhlichen vorgeplanten aber auch spontanen Anlässen. Traditionell nehmen adlige Tuareg an diesen Tänzen nicht teil. Der Nomen „tagbast“ ist vom Verb „egbas“ (die Taille schwenken mit einem Gurt) abgeleitet und bedeutet im übertragenen Sinne „elegante Tracht“ oder „stilvolles Kleid“. In Verbindung mit dem Wort „tende“ bezeichnet es ein musikalisches Ereignis, das man mit feiner Kleidung und Tanzen feiert. Neben der tende spielen Männer und Frauen auch die kleine, höher klingende Rahmentrommel ekanzam bzw. inkanzam (Abb. 8).

Klangprobe zu Tende n-tagbast

Siehe auch die Rahmentrommeln aus der Stiftung von E. Schulz an die Sammlung: StW 26 und StW 27.

Wenn keine Trommel verfügbar ist, bleibt nur der Rhythmus des Händeklatschens (tegharit). Ohne die Trommeln heißt die Musik ezele n-tagbast. Die Melodie wird wechselweise zwischen Solo-Gesang und Chor oder zwischen zwei Chören aufgeteilt. Heute sitzt der Frauenchor in einem Halbkreis und wiederholt eine melodische Phrase (tifira n-ezele), die von einer Vorsängerin angestimmt wird. Dabei klatschen die Frauen und stoßen ständig Ululationen (tirtila) aus. Vor ihnen sitzt ein tende-Spieler (amawad n-tende). Den Takt gibt eine Frau vor, die neben ihm sitzt und mit Plastiksandalen die Wassertrommel assekalabu spielt, eine Kalebasse, die in einem mit Wasser oder sehr selten mit Milch gefüllten Becken schwimmt. Das Instrument wird nur von Frauen gespielt (vgl. Abb. 9). – Vgl. das von E. Schulz gestiftete Instrument der Sammlung StW 28.

Der Rhythmus (tiluba) ist langsam (talewankan), moderat (elenge) oder sehr schnell (idugdugan). Zu den Liedertexten gehört es, wie auch beim Gesang der westafrikanischen griots (bei den Tuareg aggouten genannt), einzelne Mitglieder der Gemeinschaft namentlich lobend oder tadelnd zu erwähnen. Die Zuschauer bilden einen Kreis um die Tänzer (amagabas). Diese, einzeln oder in Gruppen, treten in die Mitte des Kreises, führen einige Tanzschritte aus, während sie laut schreien und angefeuert werden, und ziehen sich zurück, um Platz für andere zu schaffen. Die Tanzschritte folgen dem Rhythmus; bei langsamen Liedern gehen sie in die Knie und wickeln ein Bein weit nach hinten und halten einen Arm über den Kopf. Die Tänze, bei denen die jungen Männer ihre Kraft und Eleganz unter Beweis stellen wollen, finden abends nach Einbruch der Dunkelheit statt.

Die tende n-gumatan (die Heilungs-tende)

Wie fast überall auf dem afrikanischen Kontinent benutzen auch die Tuareg Musik, um Krankheiten zu heilen. Diese meisten dieser Heilungspraktiken gehen auf den alten Glauben an gute und böse Geister zurück, die von den Tuareg kel asuf (die Abgeschiedenen) genannt werden. Diese Geister wohnen Feuer, Wasser, Wind, Höhlen, Finsternis, leeren Plätzen inne und sind verantwortlich für die meisten Geisteserkrankungen und für andere Leiden unbekannter Ursachen. Vorislamische animistische Vorstellung der Tuareg verschmolzen mit islamischen Vorstellungen von der Geisterwelt.

In einigen Orten ist der Heilungsritual unter dem Namen el-dschanun (arab. al-ğunūn; Verrücktheit, Besessenheit) bekannt. In Niger ist dieses Ritual bekannt unter dem Namen tende n-gumatan. Das Wort guma (Pl. gumatan) bezieht sich auf den Patienten (öfter eine Frau), für den die Leute dieses Ritual halten. Die Herkunft dieses Begriffs bleibt aber unklar. Weil die Tuareg glauben, dass die Musik, insbesondere aber das starke Trommeln, die Geister anzieht, sind ihre Heilungsrituale mit Gesang, Klatschen und Trommeln untermalt. In einigen Fällen lockt die Musik die unerwünschten Geister vom Körper weg, in anderen stellt sie die Harmonie zwischen dem Patienten und dessen Geist wieder her. Die Heilungsrituale werden immer abends bzw. nachts gehalten.

Klangprprobe zu Tende n-gumatan

Vollzogen wird sie von einem Frauenchor, einem/r tende-Spieler/in und einer assekalabu-Spielerin. Nicht fehlen dürfen männliche Teilnehmer, die im Rhythmus der tende laut grunzen (tahǝmahǝmt). In der Mitte des Kreises steht oder sitzt die guma, die zu den Rhythmen der Trommel schwankt. Familien- und Gemeindemitglieder klatschen und feuern die Teilnehmer an. Der Gesang, die Rhythmen und Anfeuerungsrufe und das Grunzen leiten die Patientin und einige Zuschauer in unterschiedliche Bewusstseinslagen. Das Ritual kann, wenn nötig, mehrere Nächte wiederholt werden. Die Tuareg kennen die Geister und wissen, wie vieler Nächte es bedarf, um eine Heilung zu erzielen. Früher hatten die Heilungsrituale ein spezielles Liedrepertoire und vielleicht auch eine spezielle Musik. Derzeitige Praktiken erlauben den Einsatz von Liedern jeglicher Art. Das Tempo der Lieder bei einer tende n-gumatan ist langsamer als bei der tende n-ǝmnas oder tende n-tagbast.

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