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Institut für Musikforschung

Okarinas – R 27, Lo 1, Lo 2, W 32, W 34


R 27

Wien, vor 1938 (nach Eschler 1996). "Wiener Modell". Rübenform, mit Spalte und Labium in kreisförmigem Aufschnitt an der Unterseite. Gebrannter Ton, schwarz glasiert, Goldlackbemalung (Enden, Lochumrandungen, Stempel, Grifflochbezeichnungen). Gefäßlänge 17,6 cm, max. Breite bis Anblas-Ende 8,50 cm, max. Höhe 4,25 cm. Auf dem spitz zulaufenden Ende spielerseitig die Stempelung MADE IN AUSTRIA, am stumpfen Ende zwei ineinanderlaufende runde Stempel mit Laub- und Wappenmotiv (nicht identifiziert). Am Anblas-Ende eingestempelt der Stimmton D. Grifflöcher mit Zahlen bezeichnet. Acht Fingergrifflöcher auf der Ober-, zwei Daumenlöcher auf der Unterseite. 1: d (rechts 5), 2: e (r 4), 3: f (r 3), 4: g (r 2), 5: a (links 4), 6: h (l 3), 7: c (l 2), 8: d (l Daumen), 9: e (l 5), 10: f (r Daumen). Tiefster spielbarer Ton c1. Provenienz: Sammlung Ulrich Rück. – Vergleichsinstrument etwa Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig.

Lo 1/Lo 2

"Sweet Potatoe Ocarinas", die um den Hals gehängt werden. Kleine weiße Okarina mit 4-Loch-System, aufgemaltes Muster; größere weiße Ocarina, oberflächig grau eingefärbt, mit 7-Loch-System, Einritzung auf der Rückseite (nicht identifizierbar). Lo 1: Länge 5,5 cm, max. Breite 3,7 cm, Tiefe 3 cm, tiefter Ton: b2. Lo 2: Länge 9,5 cm, max. Breite und Tiefe 5,5 cm, tiefster Ton c2.
Provenienz: Sammlung Thomas Loelgen.

W 32

Okarina in B von Heinrich Fiehn, Wien
LBT 16 x 9 x 5,5 cm
5 + 5 Grifflöcher
Glasierung stark abgeblättert
Ankauf über Internethandel (Etsy)

W 34

Replikat der Gefäßflöte von Uruk mit Rekonstruktion des Labiums (Original: Uruk-Warka-Sammlung der Universität Heidelberg, W 21790). 3D-Druck für die Sonderausstellung "MUS-IC-ON! Klang der Antike" im Martin von Wagner Museum. Hergestellt 2019 von Johannes Väthjunker. LBT 4,6 x 3,9 x 2,2 cm

In der südmesopotamischen Residenzstadt des legendären Königs Gilgamesch, der Stadt Uruk (antik: Warka) im Irak fanden Ausgräber in den 1960er Jahren ein spektakuläres Objekt. Seit dem 19. Jahrhundert n. Chr. wird diese Art der Gefäßflöte „Okarina“ genannt. Der Fund in einer Schuttschicht aus der Wende vom 4. zum 3. Jahrtausend v. Chr. zeigt nun, dass diese Form bereits vor Jahrtausenden zum Musizieren verwendet wurde.

Um die Gefäßflöte aus Uruk herzustellen, wurde vermutlich ein längliches flaches Stück Ton einmal in der Mitte gefaltet. Die Kanten an den Längsseiten wurden daraufhin aufeinandergepresst und am Mundstück, gegenüber der Falz, zueinander gedrückt, sodass eine dreieckige Form entstand. Um den Windkanal zu gestalten wurde daraufhin ein flaches Stück Schilfrohr zwischen die Tonlagen gesteckt. Als die gewünschte Form erreicht war, konnten die Ränder verschmiert und das Rohr danach vorsichtig herausgezogen werden. Die zwei Grifflöcher und das Labium wurden nachträglich aus dem noch elastischen Ton herausgeschnitten.

Leider sind das Labium und die Überdeckung des Windkanals abgebrochen und auch die Reste des Mundstücks konnten kaum zur Rekonstruktion des Hohlkörpers und damit einer authentischen Klangwiederherstellung beitragen. Seltsamerweise passen nämlich die Vorderkanten der Fragmente und die des Windkanals nicht exakt aneinander.

Mit zwei Löchern, die in unterschiedlichem Abstand zum Mundstück angebracht sind, kann man auf einer Gefäßflöte normalerweise vier unterschiedliche Töne spielen. Die Tonflöte aus Uruk hat zwar zwei Grifflöcher, diese befinden sich allerdings auf beiden Seiten in gleicher Entfernung vom Labium und erzeugen somit denselben Ton. Zusammen mit den Kanten, die nicht aufeinander passen, könnte dieser Umstand ein Indiz dafür sein, dass die Flöte ein Fehlversuch war und bereits antik verworfen wurde. Bei verschiedenen Rekonstruktionsversuchen konnten dennoch Intervalle identifiziert werden. Sie bewegen sie zwischen einer großen Terz und der Quinte zum Grundton und spiegeln damit den Klangumfang dieses mehr als 5000 Jahre alten Instruments annähernd wider.

Da die Gefäßflöte im Schutt lag, bleibt uns verborgen, von wem und zu welchen Gelegenheiten sie erklang. Sie zeugt dennoch von einer volkstümlichen Musizierpraxis, ob beim Hüten von Tieren oder beim kindlichen Spielen, die abseits der höfischen oder kultischen Festereignisse in den großen Tempeln und Palästen Mesopotamiens stattfand. {Marie Klein}

Zum Flötentyp:

Okarina: Gefäßflöte, auch Kugelflöte, nach Art der Tonerzeugung Kernspaltflöte. Okarinas werden aus gebranntem und glasiertem Ton, luftgetrocknetem Ton, Porzellan, Harthölzern oder einer Kalebasse hergestellt, ferner aus Kunststoff oder Metall, Aluminium, Polycarbonat, Corian. Der italienische Name "Ocarina" (Gänschen) stammt aus der Emilia-Romagna.

Systematik (nach Hornbostel/Sachs 421.221.42, Spaltgefäßflöten mit Grifflöchern): Der Form nach gibt es prinzipiell drei Gruppen von Okarinen, (1) Gefäßflöten in Tier- und Menschenform, (2) eiförmige Okarinen (Maus- oder Schildkrötenform) und (3) rübenförmige Okarinen (mit meist zehn Grifflöchern und einer querflötenartigen Handhaltung).

Geschichte: Kleine Ton-Pfeifen zur Imitation von Vogelstimmen wurden im 19. Jahrhundert auf mittelitalienischen Jahrmärkten gerne verkauft. Hieraus entwickelte der Tonbrenner Giuseppe Donati aus Budrio um 1850 die Konzertokarina und prägte die bis heute vorherrschende rübenförmige Gestalt mit 10 Grifflöchern und einem Tonumfang von eineinhalb Oktaven. Um sie zum Spielen eines mehrstimmigen Satzes fähig zu machen, fertigte Donati seine Instrumente in mehreren Größen (Sopran bis Bass). 1863 konnte in Budrio der erste öffentliche Auftritt eines Okarinaquintetts stattfinden. Das Ensemble startete in Wien (1873) im "Circus Renz" eine Europatournee, die in allen bereisten Ländern einen Okarinaboom auslöste. In Wien, wo das Instrument begeisterte Liebhaber fand, übten sich einige Instrumentenbauer in der Herstellung, allen voran Heinrich Fiehn (1846–1920), der seine Instrumente auf einem internationalen Markt anbieten konnte. Fiehn arbeitete mit dem Kapellmeister Philipp Fahrbach (sen.) zusammen. Das Markendesign von Fiehns Instrumenten besteht in der schwarzen Glasur und der Goldbeschriftung bzw. -verzierung, was rasch als "Wiener Modell" Nachahmer fand. Seine Instrumente hatten zudem häufig Klappen und Stimmkolben (siehe Bild 4 links, mit Transport-Case).

Dass die Tonflöte in die ernste Musik keinen Eingang fand, mag zu einem Verlust ihrer Popularität nach 1945 beigetragen haben. Der Einsatz von Okarinas in György Ligetis Konzerten für Klavier (1988) und Violine (1992), zu spielen durch die Flötisten, stellt eine instrumentatorische Seltenheit dar.

In den 1960er Jahren integrierte der Südtiroler Volksmusikant Franz Kofler (zusammen mit dem Instrumentenbauer Josef Plaschke) die Okarina in sein umfangreiches Musikschaffen, wodurch sie in der alpenländischen Volksmusik Verwendung fand. Nach anfänglicher Skepsis bei älteren Volksmusikanten fand der Klang der Okarina bald Eingang in die Volksmusikszene Österreichs, Südtirols und Bayerns.

Die kleine Form lädt zur digitalen Übertragung ein. Von Smule gibt es seit einigen Jahren Okarina-Applikationen für das iPhone bzw. den iPod touch mit 4-Loch-System, das Programm war eines der ersten Musikinstrumente für das iPhone. Version 2 (seit Juni 2012) hat einen Song-Modus, bei dem die aufleuchtenden Tasten zum Spielen der Melodie bestimmter Songs gedrückt werden sollen. Auf Google Play lässt sich eine Ocarina-App für Android-Smartphones herunterladen. Angeblasen wird über das Mikrofon (Lautstärke via Luftdruckdaten), die (temperierte) Tonwahl findet über Touch-Buttons auf dem Screen statt. Die musikalischen Versuche auf der virtuellen Okarina (von Smule) sind – "getreu dem Motto keine App ohne Social-Irgendwas" – ins Internet übertragbar "und somit von anderen Benutzern hörbar" (www.appoxid.de/ocarina).

Links: http://www.ocarina.it/ ; http://www.ocarina.at/ ;

Sammlung: Okarinamuseum von Karin und Johann Rotter in Oberkappel (AT)

Literatur:

H. J. Nissen, Grabungen in den Planquadraten K/L XII in Uruk-Warka, Baghdader Mitteilungen 5 (1970), 101–191.
Heide Nixdorff: Tönender Ton. Tongefäßfloten und Tonpfeifen aus Europa (Bilderheft der Staatlichen Museen Preussischer Kulturbesitz, Nr. 22-23), Berlin: Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz (Musikethnologische Abteilung Museum für Völkerkunde) 1974.
S. A. Rashid, Mesopotamien, Musikgeschichte in Bildern Band II: Musik des Altertums, Lieferung 2, Leipzig 1984, 46.
nton Hirschmugl: Die Okarina (= Sätze und Gegensätze, hg. vom Steirischen Volksliedwerk, Bd. 8), Graz: Weishaupt-Verlag 1998.
Christa Liggins und David Liggins: The Ocarina – A Pictorial History, Kettering: Ocarina Workshop 2003.

{ow; 2015; rev. 2023-03-31}