Intern
Institut für Musikforschung

Indisches Hand-Harmonium – StW 4


Englische Missionare brachten ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts das Hand-Harmonium als portablen Orgelersatz nach Indien ("Missionarsorgel"). Das Instrument ist gewissermaßen ein halbes Akkordeon, dessen kurzer Blasebalg mit einer Hand bedient wird, während die freie Hand auf der kleinen Klaviatur Harmonien oder Melodien spielt. Die einfache Handhabung hat es zu einem populären Instrument in der volkstümlichen Musik in Teilen Indiens gemacht. In der nordindischen klassischen Musik hat es einen Platz als Begleitinstrument zum Gesang, jedoch auch als virtuoses Soloinstrument ("Gharana"-Tradition: Sangeetacharya Montu Banerjee (1915–1980), Pandit Kishore Banerjee, Suvendu Banerjee; ferner Manjit Singh (Gyaniji); Mohan Bhide; Nirmal Sidhu u.a.).

Die politische Semantik des Instruments in Indien ist zwiespältig. Britische und indische Gelehrte lehnten es im Zuge der Indischen Unabhängigkeitsbewegung ab, da es das gewaltsame Eindringen eines fremden, aufgedrängten musikalischen Idioms in die indische Musik zu verkörpern schien. Von 1940 bis 1971 wurde sein Klang konsequent aus dem Programm von "All-India Radio" verbannt, und noch heute ist das Harmonium nur in Ausnahmefällen auf den nationalen Radiosendern zu hören. In einer Debatte, die allerdings nicht von den ausführenden Musikern, sondern vor allem von Wissenschaftlern, Komponisten und Kulturverwaltern geführt wurde, geriet das Harmonium in die Scharnierposition der vermeintlichen klanglichen Differenzen zwischen Indien und dem modernen Westen. Daneben jedoch fand es in einem anderen nationalen Projekt, dem Standardisierungsversuch der indischen Musik- und Musikunterrichtspraxis weiterhin Verwendung (vgl. Rahaim 2011). 

Beschreibung:

Es handelt sich um ein einfaches Instrument ohne Registerschaltung. Ausgesägtes florales Muster. Blasebalg mit einer Falte, freies weißes Grasornament auf Grün.

Ambitus 2 Oktaven: c – c2: 25 Tasten

Mängel: Vorsatzbrett zur Klaviatur löst sich auf der rechten Seite (genagelt und geleimt) vom Gehäuse ab. Lockere Tastaturbeläge, (wohl vom Besitzer) mit Weißleim nachbefestigt, lösen sich nach Austrocknung partiell ab.

Provenienz: Gestiftet von Gerriet K. Sharma

Persönliche Erinnerung (2002): In der Straße, in der ich in Berlin wohnte (Grüntaler Straße), gab es einen kleinen Möbelladen, in dem ich mich gerne nach kleinen Stücken umsah. Eines Tages sah ich auf einem Sofa ein Harmonium, von dem ich dachte, es sei kaufbar und fragte nach dem Preis. Der Besitzer des Ladens teilte mir mit, dass es unverkäuflich sei, es gehöre ihm, er spiele darauf, wenn er traurig sei.

Literatur:
Matt Rahaim: That Ban(e) of Indian Music: Hearing Politics in The Harmonium, in: The Journal of Asian Studies 70 (2011), S. 657–682

{2016-08-01 ow}