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Institut für Musikforschung

Wörterbuch

Babyohren

Patent US5109421: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24. Februar 2008, Nr. 8, S. 64. (Klick-Vergrößern)

Behörde, die

Vgl. Grimm, 1, Sp. 1342. "BEHÖRDE, f. 1) locus ad quem aliquid deferendum est: die zuständige, rechtmäszige behörde; [...] sich ebi der behörde melden [...] 2) res, quae convenit: wir werden die behörde verfügen, das gehörige."
Ferner ebenda: behören (als gehören), behörig (als gehörig und gebührend), Behörung (als Examen, Verhör).

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Drittes Ohr (Third Ear)

"Eine Ausnahme [beim Hör- und Körpererlebnis im Kontext der neuen elektronischen Musik] bildet […] Mary Amacher, in deren Arbeit das Wissen um räumliche Begrenzungen/architektonische Ordnungen explizit eingeht. Die Komponistin nent das Ergebnis "Third Ear Music" und erklärt das Phänomen in einer längeren Beschreibung auf einer 1999er-CD Sound Characters [Tzadik] wie folgt: "what I call Third Ear Music is when our ears ect as instruments and emit sounds as well as receive them. Third Ear Music is composed to stimulate our ears to sound their own tones and melodic shapes. When played at the right sound level, which is quite high and exciting, tones in this music will cause your ears to act as neurophonic instruments that emit sounds that will seem to be issuing directly from your head. In concerts my audiences discover music streaming out of their head, popping out of their ears, growing inside of them and outside of them, meeting and converging with the tones in the room. They discover they are producing a tonal dimension of the music which interacts melodically, rhythmically, and spatially with the tones in the room. Tones dance in the immediate space of their body, around them like a sonic wrap, cascade inside ears, and out to space in front of their eyes, mixing and converging with the sound in the room." Knapp 30 Jahre nach Stockhausens "Osaka-Experiment" wird Sound hier zum Freiraum für körperliche Selbsterfahrung."

Harald Fricke, "Klangräume, Körperwelten. Unterwegs mit Karlheinz Stockhausen in den Geräuschkammern der elektronischen Musik", in: club transmediale und Meike Jansen (Hrsg.), Gendertronics. Der Körper in der elektronischen Musik, Frankfurt am Main 2005, S. 52-63 (hier 62 f.)

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Durchhörbarkeit, die

Der Komponist Heinz Holliger im Interview mit der NZZ: "Klang an sich bedeutet für mich nicht sehr viel. Für mich muss Klang immer verbunden sein mit Durchhörbarkeit. Dass man durch ihn hindurch hören und hindurch sehen kann, selbst durch ein ganz dichtes Klanggewebe." Vgl. NZZ vom 16. Mai 2009.

"Bilder auf das Hören hin durchsichtig machen": Der Musikfilmemacher Uli Aumüller im Interview mit der nmz (50, 2/2001).

Partituren nicht durchschauen, sondern durchhören: Peter Eötvös im Interview mit Hans-Jürgen Linke, Frankfurter Rundschau vom 18. März 2009.

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Erdbrummen

Seit 1998 wissen wir: die Erde brummt (Hum). Und zwar in einer Überlagerung von etwa fünf Dutzend Frequenzen zwischen drei und sieben Millihertz (1 mHz = 0,001 Hz). Dabei gibt es neben den üblichen sphäroidalen auch toroidale Schwingungen, die auf eine Verdrillung der Erde zurückgehen. Wie klingt in diesem Brummen ein Seebeben im indischen Ozean?

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Flöhe im Ohr

Einen Floh ins Ohr setzen: Die Metapher meint den Gedanken, durch den eine Person so gefangen wird, dass sie selbst nicht mehr klar denken kann, da ihr der Gedanke wie ein Floh im Ohr herumspringt.

"Floh im Ohr", Theaterstück von Georges Feydeau (übersetzt von Elfriede Jelinek).

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Ganz Ohr

"Der Triumph des Erkenntniß hält am Leben fest" und Nietzsche an der Kunst als "stärkste Verführerin zum Leben" {Friedrich Nietzsche, in: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, hg. von Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München 1967–77, Bd. 7, S. 59.}. Nietzsches Philosophie ist Philosophie der Kunst, ist Theorie und Praxis des Philosophen-Künstlers. Als solche entspringt sie einer ästhetischen Denk-Erfahrung, die sich insbesondere auf den Hörsinn stützt. Dabei wird das Ohr zum bevorzugten Sinnesorgan einer zu den Entwürfen einer abendländischen Licht- und Sichtphilosophie alternativen Wahrnehmung. […] Der Hörsinn […] wird aber nicht zum neuen Primat der Sinne. […] [Die] Ablösung des Ohrs von anderen Sinnesorganen hat Nietzsche geradezu beispielhaft kritisiert, indem er das Schreckbild der Unkultur seinem Protagonisten Zarathustra begegnen ließ: "Ein Ohr, so groß wie ein Mensch!" {Bd. 4, S. 178} Der Preis für diese Überdimensionierung zeigt sich in einem Rest von Mensch: "unter dem Ohre bewegte sich noch Etwas, das zum Erbarmen klein und ärmlich und schmächtig war. Und wahrhaftig, das ungeheure Ohr saß auf einem kleinen dünnen Stile, – der Stil aber war ein Mensch!" {ebenda} | Vom Volk hörte Zarathustra, dass es sich um einen großen Menschn handele, doch Zarathustra schenkte dem keinen Glauben, hatte er doch den Eindruck gewonnen, einem "umgekehrten Krüppel" begegnet zu sein, "der an Allem zu wenig und an Einem zu viel habe" {ebenda}. Wo dem Ohr der Körper und das ihm eigene Wechselspiel der Sinne fehlt, wird es allzu leicht zur Öffnung einer unkritischen Hörigkeit.

Aus: Petra Maria Meyer, Einleitung. Philosophisches Richtungshören. Phänomenologische und psychoanalytische Konzeptualisierungen, in: dies. (Hrsg.), acoustic turn, München 2008, S. 56 f.

Gehör, das

Helmut Rösing, Karl-Heinz Plattig, Eckart Altenmüller, Horst-Peter Hesse, Herbert Bruhn, Ulrich Kaiser, Art. "Gehör", in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart […], zweite […] Ausgabe, hrsg. von Ludwig Finscher, Sachteil Bd. 3, Kassel, Basel etc. und Stuttgart, Weimar 1995, Sp. 1076-1139.

Brian C.J. Moore, Art. "Hearing and psychoacoustics", in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, second edition, hrsg. von Staley Sadie und John Tyrell, London 2001, Bd. 11, S. 294-299.

Historische Artikel und Texte:

Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 10, Leipzig 1735, Sp. 617-620, vgl. http://www.zedler-lexikon.de/ Suchwort: "Gehör". ["Eine von denen fünff äusserlichen Sinnen, da die Seele vermittelst derer Ohren allerhand Laut und Stimmen vernimet und erkennet". Artikelgliederung: 1) Das "Objectum" des Gehörs: der Schall; 2) das "Gehör-Werckzeug"; 3) wie man hört; 4) der Nutzen des Hörsinnes. Der größte Teil des Artikels widmet sich der (Experimental-)Physik [Einteilung der Schalls; Differenzierung Schall und Wahrnehmung/Hörempfindung; verschiedene Experimente: keine Schallübertragung ohne Luft (Vakuum-Experiment), über Elastizität und Vibration klingender Körper; Thesen über die Teilchen-Mechanik der Elastizität; unterschiedliche Dichte schallerzeugender Körper; Einfluß der Luftfeuchtigkeit auf die Schallausbreitung; Schallausbreitung ("Kling-Strahlen" werden "kugelrund ausgebreitet"); Schallstärke und -reichweite; Echo-Phänomene]. Es folgt eine knappe Beschreibung des Übertragungswegs von den Teilen des Gehörorgans zur "Seele", in der ein "Begriff, nicht nur des Schalles, sondern auch derer klingenden Sachen erreget" wird. Der Nutzen des Gehörs besteht in der Erregung angenehmer Emfindungen, darüber hinaus in der Differenzierungsfähigkeit von schädlichen und nützlichen Eigenschaften schallender Körper. Ethische und philosophische Komponente: Die Wahrnehmung von "Reden" führt dazu, dass "das Gemüthe nicht nur mit unzähligen Ideen angefüllet, sondern auch von diesen auf unterschiedene Art beweget, daß es sich entweder an dererselben blssen Wissenschaft beruhiget, oder dererselben Natur und Wesen weiter nachdencket, oder in unterschiedene andere Bewegungen davon gesetzt wird". – Unter welchen Bedingungen waren Vakuum-Experimente im 18. Jahrhundert möglich? Vgl. Luftpumpe (18. Jh.)

gehörig

"§. 5.
Wobey sich denn alsofort die Wissenschaft von der Kunst dadurch unterscheidet, daß jene eigentlich die Sache, aus ihren Gründen, nur im Verstande erkennet und fasset; diese aber daneben die Hand in der That ans Werck leget, und als eine unzertrennliche Gefehrtin mitarbeitet.

§. 6.
Wir halten demnach unmaaßgeblich dafür, daß der allgemeine […] Grund-Satz der gantzen Music, auf welchem die übrigen Schlüsse dieser Wissenschafft und Kunst zu bauen sind, in folgenden vier Wörtern bestehe:

Alles muß gehörig singen.

§. 7.
Unter dem Wörtlein gehörig, als worauf die meiste Stärcke dieses allgemeinen Grund-Satzes ankömmt, begreiffen wir hieselbst, wie leicht zu ermessen, alle angenehme Umstände und wahre Eigenschafften des Singens und Spielens, sowol in Ansehung der Gemüths-Bewegungen, als Schreib-Arten, Worte, Melodie, Harmonie u.s.w.

§. 8.
Wenn, z.E. in Mittel-Parteien viele künstliche Manieren und Verbrämungen angebracht werden sollten, so gehörte sich solches von Natur nicht, sondern würde dem vornehmsten Satze, alles Singens ungeachtet, mit Unrecht Eintrag thun. So ist auch von den übrigen Erfordernissen zu urtheilen."

Johann Mattheson, Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, (Erster Theil) S. 1 f.

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hineinhören

Dänemark, Insel Møn, Ulvshale, Waldpark: Stein mit konischer Ausfräsung zum Hineinhören. (August 2009, Foto OW). Zum Anhören: Klick aufs Bild.

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Hören

Verb. [audire]
I. Formell: Das Wort " [1)] geht über alle deutsche dialekte: goth. hausjan; altsächs. hôrian; ags. hy^ran, engl. hear; fries. hêra; niederdeutsch niederländ. hôren; altnord. heyra; schwed. hôra, dän. hôre; ahd. hôrran (für hôrjan), hôran, mhd. hœren, prät. hôrta [...]. | 2) wie bei haben [...] ausgeführt, steht in verbindung mit jenem hilfsverbum statt des part. präteriti gehört der infinitiv hören, wenn ein anderer infinitiv vorhergeht oder folgt. [...] wir haben in hören sagen, Jhesus von Nazareth wird diese stete zustören. ap. gesch. 6, 14 […]." Grimm, 10, Sp. 1806.

II. Wortbedeutungen:

1) hören, den Sinn des Gehörs haben, durchs Gehör wahrnehmen können.
2) durchs Gehör wahrnehmen:
  a) mit sächlichem Objekt (Stimme, Wort, Gesang, Musik);
  b) Bücher hören (in Bezug auf ihr vorlesen);
  c) mit Akkustiv der Person (einen hören);
  d) das Objekt wird durch ein Adjektiv oder Partizip näher bestimmt (Ich höre ihn schon nahe);
  e) hören mit einem Infintiv verbinden (hören sagen, reden hören);
  f) hören mit wirklichem Akkusativ mit Infinitiv (Ich hört’ ein Bächlein rauschen);
  g) stattdessen Relativsatz (Ich hörte, dass sie sagten);
  h) Fehlen des Objekts (dass man meines hörens wenig von Politik redet);
  i) reflexiv: sich selbst hören (er hört sich selbst gern);
  j) hören lassen (seine Stimme hören lassen);
  k) reflexiv: sich hören lassen (er hat sich hören lassen);
  l) prägnant: das läßt sich hören (wird als Gutes gehört).
3) hören, in stärkerer Bedeutung, mit Aufmerksamkeit, auf etwas achten, anhören.
  a) absolut (Spich, ich höre.)
  b) mit sächl. Objekt (Höre viel und rede wenig);
  c) so in festen Verbindungen (einen Vortrag, eine Predigt, Vorlesungen hören; sie hört Philosophie bei Prof. N; Beichte hören)
  d) mit persönlichem Objekt (Mein Herr König, höre mich!);
  e) mit Relativsatz (Hört, was ich beschlossen habe);
  f) auf jemand/etw. (hört auf meinen Rat);
  g) nach etwas (Ich hörte nach der Türe, draußen aber blieb es still).
4) Anhören in gerichtlicher Bedeutung.
5) Aus der Bedeutung des Anhörens fließt die des Folgens, gehorchens (Wer nicht hören will, muss fühlen);
6) ferner die des Zugehörens, Eigenseins (das und jenes gehören nicht zusammen).
7) im Sinne von vernehmen (Das ist das erste, was ich höre; ich hatte von seinem schlechten Charakter gehört; ich habe gehört, dass es dort Gold gibt).
8) mit Betonung des Folgerns aus etwas Gehörtem (Ich hörte aus seiner Art zu reden klar, wie er dachte).

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Hören, drei Arten (nach Michel Chion)

"Ursachenhören

Fragen wir Leute, was sie gehört haben, sind die Antworten bezeichnenderweise heterogen aufgrund der verschiedenen Ebenen des Hörens, von denen sie ausgehen. Es gibt nämlich mindestens drei Arten des Hörens, die auf jeweils unterschiedliche Gegenstände Bezug nehmen. Wir wollen sie Ursachenhören, semantisches Hören und reduziertes Hören nennen.
Die gewöhnlichste Art ist das Ursachenhören, das Information über die Ursache oder Quelle sammelt. Ist die Quelle sichtbar, gibt der Klang eine ergänzende Information; z.B. der Klang einer geschlossenen Schachtel, an die ich klopfe, um herauszufinden, wie voll sie ist. Ist die Quelle nicht sichtbar, kann der Klang zur primären Informationsquelle über das Objekt werden. Eine nicht sichtbare Quelle kann durch Vorwissen und logische Annahme identifiziert werden. Ursachenhören, das selten von Null anfängt, stützt sich auf dieses Vorwissen.
Wir sollten uns davor hüten, die Präzision und das Potential des Ursachenhörens zu überschätzen, also seine Fähigkeit, sichere und genaue Daten auf der Basis des Analysierens von Klingendem zu gewinnen. Denn das Ursachenhören ist nicht nur die gewöhnlichste, sondern auch die Art des Hörens, die am leichtesten manipuliert und getäuscht werden kann.

Ursachen identifzieren: Vom Speziellen zum Allgemeinen

Ursachenhören kann auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sein. In manchen Fällen können wir die exakte Quelle ausmachen: die Stimme einer bestimmten Person, den Klang, der von einem speziellen Objekt hervorgebracht wird. Nur selten aber können wir einen einzelnen Klang auf der Grundlage dessen erkennen, was wir aus einem Kontext heraus hören. Mit der gesprochenen Sprache ist das menschliche Individuum vielleicht die einzige Schallquelle, die einen Klang hervorbringen kann, die das jeweilige Individuum genau charakterisiert. Unterschiedliche Hunde derselben Rasse haben das gleiche Bellen, bzw. (das dürfte für die meisten zutreffen) wir können das Bellen einer Bulldogge nicht von dem einer anderen oder eines rasseverwandten Hundes unterscheiden. Während Hunde offenbar die Stimme ihres Herren von hunderten anderer Stimmen unterscheiden können, ist es zweifelhaft, ob der Herr (mit geschlossenen Augen und ohne weitere Information) ebenso die Stimme des eigenen Hundes erkennen könnte. Wenn wir zu Hause das Bellen im Hinterzimmer hören, können wir leicht herausfinden, ob Fido oder Rover gebellt hat – was diese Schwäche unseres Ursachenhörens zusätzlich verdunkelt.
Zugleich kann eine Quelle, mit der wir eng vertraut sind, unerkannt und auf unbestimmte Zeit namenlos bleiben. Wir hören jeden Tag eine Stimme im Radio, ohne eine Ahnung zu haben, zu welchem Namen oder Körper sie gehört. Dennoch legen wir in unserem Gedächtnis einen Datensatz zu dieser Radiostimme an, in dem die Rubriken Name und besondere Merkmale unausgefüllt bleiben (z.B. Haarfarbe, Gesichtszüge – alles, worüber die Stimme keine Auskunft gibt). Denn es gibt einen beträchtlichen Unterschied, ob man die Klangfarbe der Stimme von einer Person zur Kenntnis nimmt – und ob man sie identifiziert in dem Sinne, dass man ein visuelles Bild von ihr, Erinnerungen an sie und einen Namen für sie hat.
Bei einer anderen Art des Ursachenhörens erkennen wir kein Individuum oder einen spezifischen Gegenstand wieder, sondern vielmehr eine Kategorie menschlichen, mechanischen oder tierischen Ursprungs: Die Stimme eines Erwachsenen, ein Motorrad, den Gesang der Lerche. In noch unklareren Fällen, die weit zahlreicher sind, als wir annehmen, ist das Wahrgenommene nur die allgemeine Eigenschaft einer Schallquelle. Wir sagen etwa, "Das klingt nach etwas Mechanischem"; oder: "das muss ein Tier sein" oder "ein menschliches Geräusch". Da das Spezifische fehlt, identifizieren wir Indices – vor allem solche zeitlicher Natur –, auf die wir zurückgreifen, um die Eigenschaft einer Schallquelle zu bestimmen.
Doch auch ohne dass wir die Quelle im Sinne einer Eigenschaft oder eines bestimmten Objekts identifizieren, können wir präzise der ursächlichen Entwicklung des Klangs selbst folgen. Beispielsweise können wir die Veränderungen eines Kratzgeräuschs wahrnehmen (Beschleunigung, schnell, Verlangsamung usw.) oder Änderungen von Druck, Geschwindigkeit und Umfang ohne eine Ahnung davon zu haben, welches Material auf welchem kratzt.

Die Mehrschichtigkeit der Schallquelle

Ein Klang hat oft nicht nur eine Quelle, sondern meistens zwei, drei oder mehr. Etwa das Geräusch des Füllers, mit dem ich diese Skizze schreibe. Die zwei Hauptquellen sind der Stift und das Papier. Daneben gibt es Schreibgesten der Hand und mich selbst, der ich schreibe. Wenn dieser Klang mit einem Bandrekorder aufgezeichnet wird, haben wir als Schallquellen zusätzlich die Lautsprecher, das Magnetband, auf das die Geräusche aufgezeichnet werden, usw.
Wir wollen festhalten, dass das Ursachenhören im Kino permanent durch den audiovisuellen Kontrakt manipuliert wird, im besonderen durch das Phänomen der Synchresis. Die meiste Zeit beschäftigen wir uns dabei nicht mit den wirklichen tatsächlichen Quellen des Schalls, sondern mit solchen, die der Film suggeriert.

Semantisches Hören

Semantisches Hören nenne ich, was auf einen Code oder eine Sprache rekurriert, um eine Botschaft zu interpretieren: natürlich gesprochene Sprache, Morse- und andere Codes. Diese Art des Hörens, die auf eine extrem komplexe Weise funktioniert, ist Gegenstand linguistischer Forschung und wurde bislang am intensivsten untersucht. Ein entscheidendes Resultat ist dabei, dass sie ausschließlich auf Differenzen basiert. Man hört ein Phonem nicht nur wegen seiner exakten akustischen Eigenschaften, sondern als Teil eines ganzen Systems von Oppositionen und Differenzen. So ignoriert das semantische Hören oft beträchtliche Unterschiede in der Aussprache, solange in der Sprache selbst keine relevanten Differenzen bestehen. Linguistisches Hören im Französischen oder Englischen etwa ist nicht empfindlich für einige sehr verschiedene Pronuntiationen des Phonems a.
Offenbar kann man auf eine einzelne Klangfolge hören, indem man auf beide Arten, das kasuelle und das semantische Hören, zugleich zurückgreift. Wir hören zugleich, was jemand sagt und wie er es sagt. In gewisser Weise verhält sich das kasuelle Hören zum semantischen wie das Betrachten einer Handschrift zum Lesen des geschriebenen Textes.

Reduziertes Hören

Als reduziertes Hören hat Pierre Schaeffer die Art des Hörens bezeichnet, die sich auf den Charakter des Klingenden konzentriert, ohne sich um seine Quellen oder Bedeutungen zu kümmern. Reduziertes Hören nimmt den Klang – verbal, instrumental, Geräusch oder was immer – für sich selbst, als Gegenstand, wahr statt als Vehikel für etwas anderes.
Eine gemeinsame Sitzung für reduziertes Hören ist eine ziemlich lehrreiche Erfahrung. Die Teilnehmer nehmen rasch wahr, dass sie beim Reden über Klingendes ständig zwischen seinem tatsächlichen Inhalt, seiner Quelle und seiner Bedeutung hin- und herpendeln. Die Hörer erfahren, dass es keine einfache Aufgabe ist, über Klingendes selbst zu sprechen, wenn sie angehalten sind, es unabhängig von jeglicher Ursache, Bedeutung oder Wirkung zu beschreiben. Die gewöhnliche Sprache legt plötzlich ihre ganze Undeutlichkeit offen: man sagt, "das ist ein quietschender Klang", doch in welchem Verstand? Ist "Quietschen" nur ein Bild oder ist es ein Wort, das sich auf eine Quelle bezieht, die quietscht, oder ist ein unangenehmer Eindruck gemeint?
Die Konfrontation mit der Schwierigkeit, die Aufmerksamkeit auf Klingendes per se zu richten, führt oft zu berechenbaren Reaktionen – Lachen über die Angelegenheit, Lächerlichmachen ihrer trivialen Anteile –, und andere Abwehrreaktionen. Andere vermeiden die Beschreibung und fordern die Zuhilfenahme von Spektralanalyse oder Stoppuhren, obwohl doch Maschinen nur physikalische Daten aufnehmen, aber nicht bestimmen können, was wir hören. Eine dritte Form des Rückzugs besteht in der Verschanzung hinter einer Außen/Außen-Fassade des subjektiven Relativismus. Nach dieser philosophischen Schule hört jedes Individuum individuell Verschiedenes, wobei der gehörte Klang immer unerkannt bleibt. Die Perzeption ist aber kein rein individuelles Phänomen, da sie an einer bestimmten Form von Objektivität teilhat, nämlich die von gemeinsamen Wahrnehmungen. Im Rahmen dieser Objektivität auf der Basis von Intersubjektivität hat das reduzierte Hören, wie Schaeffer es definiert hat, seinen Ort.
Beim reduzierten Hören kann das deskriptive Inventar eines Klangs niemals während eines einmaligen Hörvorgangs zusammengestellt werden. Man muss ihn oft hören, und das setzt die Fixierung bzw. Aufnahme des Klangs voraus.  Ein Sänger oder Instrumentalist ist nämlich nicht in der Lage, jedesmal wieder exakt den gleichen Klang zu reproduzieren. Er oder sie können lediglich seine allgemeine Tonhöhe und Kontur wiedergeben, nicht aber die feinen Details, die ein Klangereignis spezifizieren und es zu etwas Einzigartigem machen. Daher ist reduziertes Hören angewiesen auf das Fixieren von Klängen, die dadurch den Status eigenständiger Objekte erhalten.
Voraussetzungen des reduzierten Hörens
Reduziertes Hören ist ein Verfahren, das neu, fruchtbar und kaum natürlich ist. Es unterbricht faule Gewohnheiten und öffnet eine Welt von zuvor nicht vorstellbaren Fragestellungen für die diejenigen, die sich darauf einlassen. Jeder praktiziert zumindest rudimentäre Formen reduzierten Hörens. Wenn wir die Höhe eines Tons oder das Intervall zwischen zwei Tönen bestimmen, betreiben wir reduziertes Hören. Denn Tonhöhe ist ein inhärentes Charakteristikum von Klang, unabhängig von seiner Ursache oder dem Begreifen seiner Bedeutung.
Verkompliziert wird das Verfahren dadurch, dass ein Klang nicht nur durch seine Höhe definiert ist, er hat viele weitere Wahrnehmungscharakteristika. Die meistengewohnten Klänge haben nicht einmal eine präzise oder bestimmte Tonhöhe; hätten sie sie, wäre reduziertes Hören kaum etwas anderes als die althergebrachte Solfeggio-Praxis. Kann ein Beschreibungssystem formuliert werden, das sich von der Erklärung der Klangursachen emanzipiert? Schaeffer hat gezeigt, dass dies möglich ist, doch er hat lediglich das Territorium abgesteckt und, in seinem Traité des objets musicaux, ein Klassifikationssystem anformuliert. Dieses System ist gewiss weder vollständig noch gefeit vor Kritik, doch es hat das große Verdienst, überhaupt vorhanden zu sein.
Tatsächlich ist es unmöglich, ein solches System zu weiter zu entwickeln, bevor wir nicht neue Konzepte und Kriterien geschaffen haben. Sowohl die gegenwärtige Umgangssprache wie die engere musikalische Terminologie sind völlig außerstande, die klanglichen Eigenschaften zu beschreiben, die offenbar werden, wenn wir reduziertes Hören an aufgenommenen Klängen betreiben.
In diesem Buch möchte ich mich nicht auf Detailfragen des reduzierten Hörens und Klangbeschreibung einlassen. Ich verweise den Leser auf andere Bücher zu diesem Gegenstand, vor allem meinen eigenen Auszug aus Pierre Schaeffers Werk mit dem Titel Guide des objets sonores.

Wozu reduziertes Hören?

"Was ist denn letztlich der Nutzen des reduzierten Hörens?" fragten die Video- und Filmstudenten, die ich angewiesen hatte, es für vier Tage in Folge vertieft zu betreiben. Es macht ja den Anschein, dass Film und Television den Klang allein wegen seiner bildlichen, semantischen oder evokativen Qualität benutzen, in Bezug auf reale oder suggerierte Schallquellen, auf Texte – nur selten aber als formales Rohmaterial mit Eigenwert.
Doch bietet das reduzierte Hören den enormen Vorteil, dass es unsere Ohren öffnet und unser Gehör schärft. Film- und Videokünstler, Forscher und Techniker lernen kraft Erfahrung ihr Medium besser kennen und beherrschen. Die emotionale, körperliche und ästhetische Qualität des Klingenden hat nicht nur eine Verbindung zur ursächlichen Erklärung, die wir ihm beilegen, sondern auch zu seinen eigenen klangfarblichen und texturalen Qualitäten, zu seiner Eigenvibration. In gleicher Weise wie Regisseure und Kinematographen, selbst wenn sie sich nie mit abstraktem Film beschäftigen sollten, nur gewinnen können, wenn sie ihr Wissen um visuelle Materialien und Texturen verfeinern, können wir von einer disziplinierten Aufmerksamkeit auf die inhärenten Qualitäten des Klingenden profitieren.

Die akusmatische Dimension und reduziertes Hören

Reduziertes Hören und die akusmatische Situation haben etwas gemeinsam, jedoch in einer mehrdeutigeren Weise, als es Pierre Schaeffer (vom dem die beiden Begriffe stammen) uns zu verstehen gegeben hat. Schaeffer hob darauf ab, wie sehr akusmatisches Hören, das wir künftig als Situation definieren wollen, in der jemand einen Klang hört, ohne seine Ursache oder Quelle zu sehen, unser Hören verändern kann. Akusmatischer Klang lenkt unsere Aufmerksamkeit auf Klangcharakteristika, die in der Normalsituation durch den simultanen Anblick der Schallquellen verborgen werden: verborgen, weil dieser Anblick bestimmte Elemente des Klingenden verstärkt und andere verunklart. Akusmatik erlaubt ein Sich-Entbergen des Klingenden in all seinen Dimensionen.
Zugleich dachte Schaeffer, die akusmatische Situation könne das reduzierte Hören anregen, indem es einen motiviert, sich von Ursachen und Wirkungen zu verabschieden zugunsten einer bewußten Aufmerksamkeit auf klangliche Texturen, Massen und Geschwindigkeiten. Doch oft geschieht genau das Gegenteil, zumindest am Beginn, da die akusmatische Situation durch Abschneiden der visuellen Hilfsmittel das Ursachenhören verstärkt. Konfrontiert mit einem Klang aus einem Lautsprecher, ohne ergänzendes Bild, fragt sich der Hörer mit umso größerer Aufmerksamkeit: "Was ist das?" (bzw. "Was ist die Quelle dieses Klangs?") und schnappt nach den geringsten Hinweisen (häufig mit falscher Deutung) auf etwas, das die Quelle zu identifizieren hilft.
Wenn wir aufgenommene Klänge akusmatisch hören, müssen wir sie wiederholt hören, um stufenweise damit aufzuhören, auf ihre Ursache zu hören und die eigenen Charakterzüge akkurater wahrzunehmen.
Ein geübter Hörer kann Ursachenhören und reduziertes Hören im Tandemverfahren betreiben, vor allem, wenn beide Arten in gegenseitiger Beziehung stehen. Denn was bringt uns denn dazu, die Ursache eines Klangs zu ergründen, wenn nicht seine charakteristische Form? Das Wissen, dass es sich um "den Klang von x" ist handelt, erlaubt uns ohne weitere Störung zu untersuchen, was der jeweilige Klang in sich ist und außerhalb seiner selbst sein kann.

Aktive und passive Perzeption

Im Kontext dieses Buchs über Audio-Vision schien es wichtig, klare Unterscheidungen zwischen den drei Arten des Hörens zu ziehen. Doch wir sollten uns daran erinnern, dass sich diese drei Hörarten überlappen und im komplexen und mannigfaltigen Kontext der filmischen Tonspur miteinander verbinden.
Das Hören mit dem Ohr ist notwendig angewiesen auf ein Hören mit dem Verstand, so wie das Schauen auf das Sehen. Anders gesagt, um Perzeptionsphänomene zu beschreiben, müssen wir mit einbeziehen, dass bewußte und aktive Perzeption nur einen Teil des größeren in Tätigkeit befindlichen Perzeptionsfeldes bildet. Sehen im Kino heißt, räumlich und zeitlich etwas in einem vorgegebenen Sehfeld zu erkunden, begrenzt durch die Ränder der Projektionsfläche. Hören dagegen, für sich genommen, ist Erkundung in einem akustischen Feld, das vorgegeben oder dem das Ohr ausgesetzt ist. Dieses Hörfeld ist weit weniger begrenzt oder beschränkt, seine Konturen sind unscharf und beweglich.
Wegen der natürlichen Faktoren, deren wir uns alle sehr wohl bewußt sind – dass es keine Ohrenlider gibt, dass Hören omnidirektional ist, dass Klingendes einen körperlichen Charakter hat –, und wegen der Tatsache, dass es in unserer Kultur an wirklicher Gehörschulung mangelt, macht es uns dieses Dem-Hören-Ausgesetzt-Sein so außerordentlich schwer, Dinge auszuwählen oder herauszuschneiden. Dem Klingenden eignet immer irgendetwas Überwältigendes oder Überraschendes – vor allem, wenn wir ihm keine bewußte Aufmerksamkeit schenken. Und auf diese Weise mischt sich der Klang in unsere Perzeption ein und beeinflusst sie. Die bewußte Wahrnehmung kann sicher tapfer arbeiten, indem sie alles ihrer Kontrolle zu unterwirfen versucht, doch ist im aktuellen kulturellen Zustand das Klingende in viel stärkerem Maße als das Bild dazu geeignet, unsere Wahrnehmung schnell zu sättigen und kurzzuschließen.
Für den Film besteht die Konsequenz darin, dass Klingendes, viel mehr als das Bild, zum hinterlistigen Mittel affektiver und semantischer Manipulation werden kann. Einerseits wirkt Klang direkt und körperlich auf uns (Atemgeräusche in einem Film können direkt unsere eigene Respiration beeinflussen). Andererseits übt Klingendes einen Einfluß auf die Perzeption aus: Durch das Phänomen der 'zugefügten Qualität' interpretiert es die Bedeutung des Bildes und macht, dass wir im Bild sehen, was wir anderenfalls gar nicht oder anders sehen würden. So erkennen wir, dass das Klingende nicht in gleicher Weise eingesetzt und (re-)lokalisiert wird wie das Bild."

[Michel Chion, L'Audio-Vision, Paris (Editions Nathan) 1990 (Teil 1, Kap. 2); vgl. auch ders., Audio-Vision: Sound on Screen, ed. and translated by Claudia Gorbman, New York (Columbia University Press) 1994, S. 25 ff.]

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Hören von Musik (informationstheoretisch)

"Beim Hören von Musik werden komplizierte akustische Schwingungsformen in eine im Gehirn ausgelöste neuronische Aktivität verwandelt, die einer relativ einheitlichen Empfindung entspricht. Das zeitliche Schwingungsmuster – bis auf Zusatzeffelte die zeitliche Änderung der Abweichung des Trommelfells aus der Ruhelage – wird zunächst auf der Basilarmembran des Innenohrs in ein mechanisch-elektrisches, räumliches Erregungsmuster umgewandelt, das frequenz- und intensitätsabhängig ist. Die Zuordnung ist aber mehrdeutiger als eine bloße Korrespondenz von Frequenz und Ort der Basilarmembran ("Orthstheorie"). Das räumliche Erregungsmuster wird von den Nervenfasern abgetastet. Dabei werden die Parameter des Erregungsmusters (Erregungsort, Erregungslatenz und Erregungsstärke der Basilarmembran) in Parameter der Nervenfasern (Änderung der Nervenimpulsfrequenz, Eigenfrequenz der Fasern, Anzahl und Ort der erregten Fasern, Nervenimpulsdichte) umkodiert. Es gibt dabei keine eindeutige Zuprdnung jeweiliger Parameter, z.B. der Erregungslatenz zur Nervenimpulsfrequenz ("Frequenztheorie"). Das neue raum-zeitliche Nervenimpulsmuster wird auf dem Wege zum Gehirn weiterverarbeitet: umkodiert, in einzelnen Parametern präzisiert, mit anderen Mustern zu neuen Einheiten verbunden, teilweise verstärkt, teilweise unterdrückt usw. Dabei spielen vor allem synaptische Schaltstellen der Nervenfasern, Verbindungen von Fasern beider Ohren, die unterschiedlichen Faserlängen, Empfindlichkeiten und Schwellenwerte eine Rolle.

Die Kenntnis der hörphysiologischen Tatsachen ist teil direkt aus medizinisch-biologischen Beobachtungen, teil indirekt aus hörpsychologischen Effekten erschlossen, wobei sie – umgekehrt – wiederum eine Voraussetzung zur Erklärung dieser Effekte […] ist.

Zugleich ist die kenntnis jener hörpsychologischen Tatsachen eine Voraussetzung kommunilkationstheoretischer Beobachtungen, vor allem informationstheoretischer Modellbildungen und Musikanalysen. Danach ist beim (musikalischen) Informationsempfang zunächst zwischen drei Funktionen des Gehörs zu unterscheiden: 1. Empfang des (akustischen) Signals, Zuordnung zu einer Bedeutung und Speicherung, d.h. Informationsempfang im engsten Sinne des Einweg-Kommunikationsmodells ([...] Schema I). 2. Verknüpfen verschiedener Zeichen und Bildung neuer Zeichen vor der Speicherung, d.h. Nachrichten- und Datenverarbeitung. 3. Empfang des Signals, Zuordnung zu einem Nachrichten- und Datenverarbeitungsprogramm, das eine gewisse Menge von Daten verarbeitet. Im wesentlichen zeigen die Schaltungen des Gehörs, daß Nachrichtenempfang und -verarbeitung als Rückkopplungsvorgänge angelegt sind. An die Stelle des Kanals im Einweg-Kommunikationsmodell tritt ein Regelkreis: das vom Sender kommende Signal kann dabei längs der Regelstrecke gemäß einer Führungsgröße verändert (Schema II), kann als Störung des biologischen Systems "Gehör im Ruhestand" aufgefaßt (Schema III) oder als Regelung einer gestörten Leitung interpretiert werden (Schema IV).

Den drei Funktionen des Gehörs entsprechen drei Ebenen von Information: 1. die akuell eingegebene Information, im Prinzip also die Menge der unmittelbar eintreffenden akustischen Signale; 2. die Information, die im Schlatplan des Gehörs gespeichert ist, teils aufgrund subjektiver (vererbter, angeborener) Eigenschaften; 3. die Information, die bei der Nachrichtenverarbeitung bewußt oder unbewußt vorausgesetzt und auf früheren Informationsempfang und Lernprozesse zurückzuführen ist. Demnach darf der "aktuelle" Informationsempfang bereits hörpsychologisch nicht isoliert betrachtet werden, da in ihn psychologisch, sozial und historisch vermittelte Prädispositionen eingehen. Das Gehör ist also kein schlichter Empfänger, sondern ein Nachrichtenverarbeiter, der neben einem Zeichen- auch noch einen Programmspeicher besitzt. Bereits der einzelne Hörvorgang ist vielfach rückgekoppelt und jeweils ein elementarer Lernprozeß."

Wolfgang Martin Stroh, Zur Soziologie der elektronischen Musik, Zürich 1975, S. 106-109.

Hörfläche, die / Hörfeld, das

Das menschliche Ohr hört Schall erst dann, wenn ein bestimmter Mindestschalldruck erzeugt wird. Der hieraus gebildete Schallpegel wird Hörschwelle genannt. Sinustöne haben eine frequenzabhängige Hörschwelle. Die Schmerzschwelle wird aus denjenigen Druckwerten gebildet, bei denen die Schallempfindung schmerzhaft wird. Hör- und Schmerzschwelle umgrenzen die Hörfläche, ihr Abstand ist für 1 kHz 2 x 102 : 2 x 10-4µb, also 106: 1, entsprechend 120 dB. Ein gesundes Ohr kann bei mittlerer Lautstärke 103 Tonhöhenstufen und 102 Lautstärkestufen unterscheiden (gesamt 105 unterschiedbare Hörelemente).

Vgl. Carl Dahlhaus und Hans Heinrich Eggebrecht, Brockhaus Riemann Musiklexikon, Taschenbuchausgabe, Mainz und München 1989, Bd. 2, S. 213 f.

Abb. rechts: Kurven gleicher Lautstärke und Hörschwelle (oben); Hörfläche für die Wahrnehmbarkeit von Schall, Hörflächen für Musik und Sprache (unten). Aus: Michael Dickreiter in Kooperation mit der srt [Schule für Rundfunktechnik], Mikrofon-Aufnahmetechnik, 3. Auflage, Stuttgart und Leipzig (Hirzel) 2003, S. 85.

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Hörfundstücke (locus iste)

August 09
[Einhören in einen Ort, reflexives Hören]. Ich bedauere, keinen Rekorder bei mir gehabt zu haben. Mit meiner Lebensgefährtin und dem Freund war ich nach dem ortstypischen sehr mittelprächtigen Mittagessen in der Universitätsstraße ein Stück geschlendert, bis wir angelangt waren, wo einmal der Palast der Republik gestanden hat. Nun war darauf eine Grünfläche angelegt worden, direkt neben dem brummigen Spreeinselübergang von Unter den Linden zur Karl-Liebknecht-Straße. Dort liegen Körper, die sich sonnen, und es braucht kein Schäferskind, das mit ihnen spielt, sie sind sich selbst gewiss genug. Die Grünfläche erschöpft sich im Paradox. Sie erzeugt die Vanität, die diesem Ort auferlegt ist, in hinreichendem Maß. Trotz der Betonauffüllung der großen Wanne unter dem abgerissenen Gebäude (Stabilität des Grundwasserspiegels) ist eine Hohlheit hörbar. Der August entwirft einen Postkartenhimmel, der die Ansicht Ostberlins wie die hinterlistige Collage eines greisen böswilligen Kindes erscheinen läßt. Wer hört sich an solchem Ort ein? In der Temporären Kunsthalle, die sich diesem übergängigen Ort als Ansiedlung widmet und als Einrichtung ohne lokale Zukunft glücklicher wirkt als alle nachhaltigkeitswilligen Pläne für das Areal, gab es eine Performance-Installation von Allora/Calzadilla, die sich mir als Form öffentlichen Hörspiels oder einer zugespitzten akusmatischen Situation eingeprägt hat. Das Gespenstische und Hohle des Ortes hätten nicht exakter abgehört und umgesetzt worden sein. Die Gespenster tanzen jedem auf dem Kopf herum, das wird sich auch mit der künftigen Bebauung nicht ändern, egal, welche Umsicht da waltet. Die Geschichte der Spreeinsel ist im fünften Stock angelangt, im Dach darüber übt jemand Ballett. Es knirscht. Würde der Ort als übergängiger dauerhaft geplant werden, wer weiß, ob er die Poesie gewänne, die der der Installation gliche. [Zur Beschreibung der Installationen ->, pardon, der Zettel war 1 Woche in meinem Hemd.]

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Hörfundstücke (locus iste) [II]

Sommer 2002
[Passagenhören, erinnertes Hören, aus der eMail an eine Freundin] In Berlin hatte ich eine Wohnung an der Ex-Mauer, jetzt S-Bahn-Trasse, im Wedding gemietet, an der, wie ich später erfuhr, im Prozess der Grenzöffnung berühmt gewordenen Bornholmer Brücke, der der Alltag jeglichen Rest irgendeines historischen Glanzes abgewetzt hat. Eine zeitlang wurde die Treppe von der Brücke hinab zur S-Bahn-Haltestelle ziemlich offen zum Umverteilen von geschmuggelten Tabakwaren genutzt. Eine Freundin hat mir erzählt, dieses Stück Mauer-Wedding sei in den 80er Jahren eine Uhuschnüffler-Gegend gewesen. Von solcher oberflächigen Unseligkeit der Berauschung war nichts geblieben, als ich einzog. Im eigenen Haus waren sich fast alle Parteien fremd, der Geruch im Treppenhaus durchzogen von latentem Konflikt, der sich intern und extern bisweilen in Schreiereien,  Pöpeleien und plumpen Anmachen entlud. Entsprechend die Musik, die viele Milieus auf- und ineinanderschachtelte, türkischer Pop ein Stockwerk unter mir, deutscher Punk und Pop zwei tiefer, serbische Bässe im Erdgeschoß, die durch die Leitungen bis zu mir in den fünften Stock vibrierten. Außen gab es die Initiative "Soldiner Kiez" zur Verbesserung der Gesamtwohnlage in der Gegend. Der Puff "Prima Stimmung" war 2002 im Grunde schon am Ende. Als ich 2004 auszog, war die Meliorisierung in vollem Gang. Die gewohnt dreckige breite Straße wurde zur Vorzeigegegend des Kiez' umfunktioniert, was erstaunlich gut geklappt hat. Selbst die angeordneten, kalt ordentlichen Graffiti wurden angenommen und nicht wie alles andere zerstört. Ich wollte aber eigentlich auf einen Höreindruck kommen. Es gab in der Nähe einen Übergang von Ex-West nach Ex-Ost, der so extrem war, dass ich mir immer dachte, man müßte ihn in ein Anti-Harmonie-Programm der Unesco aufnehmen: Der Übergang Prinzenallee zu Wollankstraße. Er ist absolut unspektakulär, aber, wenn man darauf acht gibt, heftigst in der Sphärentrennung, eine echte Passage. Eine Strasse klingt West so, Ost anders (Strassenbelag), sie ist West mit Lidl und Döner, Ost mit 2nd-Hand-Möbel und Maharadjia-II besetzt. Genau im Durchgang gibt es Pommes. Was für eine traumhafte Öko-Logik bzw. Selbstverständlichkeit solche Kleinökonomien an Übergängen haben. Was für ein Beschreibungsfeld das wäre. Oder was für ein Gefühl, von Kreuzberg nach Neukölln zu fahren - wie klingt so eine mittelprächtig-arm-Grenze? Wahrscheinlich hätte ich weniger gehört, wäre ich mit dem Auto statt dem Rad unterwegs gewesen. Die Freunde wohnten in anderen Kiezen, Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf, Pankow, Kreuzberg. Überall klang es anders. Ist es eine Kunst, sich in Passagen heimisch zu fühlen? Manchmal habe ich Heimweh nach den Übergängen. (Vielleicht prädestiniert einen die Jugend in den Achtzigern zur Heimat im Übergang, da es Zeiten gibt, aus denen der Ausbruch notwendig wird.)

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Hörobjekte (nach Christian Metz)

Wie nehmen wir die klangliche Welt (aurale Welt) wahr? Diese Frage ist besonders wichtig für den Tonfilm (d.h. heute für den Film überhaupt), für Fernsehen, Radio usw. Sofern aber nicht der Schall der gesprochenen Sprache gemeint ist, muss man festzustellen, dass das Klangliche weit weniger untersucht worden ist als das Visuelle, da unsere Zivilisation dieses deutlich höher bewertet. Gefangen zwischen Beidem, dem sprachlichen und dem visuellen Feld, findet der Klang oft wenig Beachtung.

Wie ist es möglich, dass wir in der Lage sind, ein das Geräusch von am Seeufer plätschernd auslaufenden Wellen (clapotis) auf dem Soundtrack eines Reiseberichts oder im konfusen Rascheln eines Waldes, in dem wir spazieren, zu erkennen und zu isolieren? Wie ist das möglich, selbst wenn wir seine Quelle nicht sehen und zu anderen Zeiten sehr andersartige Geräusche auch als Wellengeräusch wahrnehmen? Es muss daran liegen, dass "Wellenplätschern" als autonomes aurales Objekt existiert, bei dem die Charaktereigenschaften seiner akustischen Referenz mit  einem linguistischen Signifikat korrespondiert, mit dem Sem des Semems "Wellengeräusch". Vier dieser Charaktereigenschaften liegen offen und resultieren aus ihren naheliegendsten Kommutationen:
1) Das Geräusch ist relativ schwach (im Gegensatz zu "Tumult", "Geschrei", "Krawall" usw.).
2) Es ist diskontinuierlich, während dies etwa ein Schreien, ein Pfeifen, ein Hintergrundgeräusch nicht ist.
3) Es ist akustisch doppelt oder zweiwertig, d.h. seine Erscheinungsform fällt in zwei aufeinanderfolgende Geräusche auseinander: /--/ . . . .  /--/ . . . . /--/ . . . . (In dieser Hinsicht können die ersten drei Phoneme des Signifikanten cl-a-potis als onomatopoetisch betrachtet werden. Die Kommutation zeigt, dass andere identifizierbare Geräusche diese Charakteristik nicht besitzen, und dass jeder ihrer Vorkommen "einmalig" ist; so auch "Explosion", "Luftzug", "Krachen", wenn man sich auf ihren Klang bezieht. Es ist die selbe Opposition wie zwischen FLOP und CLACK.
4) Der Klang wird erfahren als "flüssig", oder erzeugt von etwas Flüssigem, während "Reiben" und "Kratzen" als aurale Sememe auf die Eigenschaft oder den Zustand  "fest", "Zischen" und "Pfeifen" auf den Zustand "gasförmig" verweisen.

Diese vier Eigenschaften, und all die anderen aus derselben Gruppe, die ich hier auslasse, sind etwas, was Hörwahrnehmung und Sprache gemeinsam haben. Es ist nicht sinnvoll zu fragen, ob sie das Französische Wort ?clapotis? oder das charakteristische Geräusch definieren, da Wort und Klang nur in einer gegenseitigen Beziehung zueinander existieren. Unsere vier Eigenschaften konstituieren eine Niveau der Artikulation, auf dem beide ineinanderfallen: kraft des metakodierenden Status? von Sprache.

Ideologische Aushöhlung der auralen Dimension

Es gibt einen Unterschied zwischen dem Sicht- und Hörbaren in ihrer jeweiligen kulturellen Bestimmung. Wenn ich eine Deckenlampe erkannt und sprachlich bezeichnet habe, ist die Identifikation vollständig und jede Ergänzung wäre nur adjektivischer Natur. Im Gegensatz dazu höre ich ein Wellenplätschern oder Pfeifen, und habe zunächst nur das Gefühl einer ersten Identifikation, eines noch unvollständigen Erkennens. Dieser Eindruck weicht erst, wenn ich wahrnehme, dass es das Plätschern eines Flusses war oder das Pfeifen des Windes in den Bäumen. Kurz, die Wahrnehmung eines Geräuschs oder Klangs führt direkt zur Frage: ?Klang wovon?? Auf den ersten Blick scheint das paradox zu sein, denn das Semem der ersten Identifikation (Pfeifen, Zischen, Schleifen usw.) korrespondiert mit strikten Hörprofilen, während die Sememe der zweiten Identifikation (Wind, Fluß), die mit dem Hören zu tun haben, eher die Schallquelle als den Schall selbst benennen.

In der Sprache als einem Meta-Kode des Klingenden besteht die vollständigste Bezeichnung offenbar in einer Designation von Schall und Quelle (das Donnern des Unwetters). Doch wenn einer der beiden Indikatoren wegfällt, ist es bemerkenswerterweise der Indikator der Gehörsseite, der am ehesten weggelassen weden kann, ohne dass die Verständlichkeit wesentlich darunter leiden würde. Wenn ich ein Rumpeln vernehme ohne weitere Spezifikation, bleibt etwas Geheimnis oder Spannung zurück (Horror- und Mystery-Filme bauen auf diesen Effekt): Eine Identifikation findet nur partiell statt. Wenn ich aber Donnern wahrnehme, ohne auf seine akustischen Eigenschaften acht zu geben, ist die Bezeichnung hinreichend.

Man könnte einwenden, dass das Beispiel tendenziös ist, da der Donner ein Objekt ist, das aus nichts als Schall besteht (er ist unsichtbar, nur das Blitzen kann man sehen). Dennoch bleibt die Situation die gleiche bei Objekten, die nicht vollständig durch ihren Klang definiert sind. Wenn ich vom "Brummen einer Maschine" spreche, weiß der Leser nicht genau, wovon ich spreche ("Welche Maschine?"). Obwohl meine Klassifikation des Schalls präzise war, war ich zu vage in Bezug auf seine Quelle. Es würde mir genügen, die Achse der Präzisierung umzudrehen, also zu sagen ?das Brummen eines Düsenflugzeugs?, damit jeder merkt, dass ich mich klar ausgedrückt habe und damit zufrieden sein kann. Sobald die Schallquelle identifiziert ist (Düsenflugzeug), können die akustischen Taxa (Brummen, Pfeifen usw.) nur supplementäre Präzisierungen darstellen, jedenfalls in unserem Zeitalter und unserem geographischen Ort. Diese Supplemente werden als vernachlässigbare Größen beurteilt, die grundlegend von adjektivischer Art sind, auch wenn sie in linguistischer Sicht durch Nomina ausgdrückt werden. Wir benennen hier nicht nur, sondern befinden uns auf einer etwas ausschweifenderen Ebene der Beschreibung.

In ideologischer Hinsicht ist die Schallquelle ein Hörobjekt, der Schall selbst ein Charakteristikum. Wie alle Charakteristika ist auch er verbunden mit einem Objekt, und daran liegt es, dass die Identifikation des letzteren genügt, um den Schall zu evozieren, während dies umgekehrt nicht stimmt. Um ein perzeptionelles Ereignis zu "verstehen", muss man es nicht erschöpfend beschreiben, man muss aber in der Lage sein, es zu klassifizieren und zu kategorisieren, also das Objekt zu bezeichnen, zu dem es in exemplarischer Beziehung steht. Daher werden Schälle öfter in Hinblick auf die Objekte, die sie senden, klassifiziert als durch ihre eigentümliche Charakteristik.

An dieser Situation ist nichts "natürlich". Vom logischen Standpunkt aus betrachtet ist "Zischen" ein Objekt, ein akustisches Objekt in gleicher Weise wie eine Tulpe ein visuelles Objekt ist. Die Sprache zieht dies in Betracht (oder sogar das Wörterbuch, ohne jeglichen Diskurs) da eine große Anzahl erkennbarer Schälle, abgestiegen in den Rang bloßer Charakteristika, immer noch mit Nomina korrespondieren. Dies ist eine Art von Kompromiss, der die Charakterzüge des Hörbaren nicht davor bewahrt, in viel schwächerer Weise am dominanten Prinzip der Objektwahrnehmung beteiligt zu sein. Sobald es andererseits zur Frage kommt, wie das Konzept des auralen Objekts zu nennen ist, wird es nötig, dem Wort Objekt das Epithet "aural" beizufügen, so wie ich es getan habe und Vertreter der musique concrète: während es keine Präzisierung erfordert für das, was logischerweise "visuelles Objekt" genannt weden könnte. Wir halten es für selbstverständlich, dass eine Fahne ein Objekt ist (ohne Adjektiv, das man dazu brauchen würde), doch wir geraten in Zweifel über einem Hupen; es ist ein Infra-Objekt, ein Objekt, das nur auditiv ist.

Primitiver Substantialismus

Es gibt eine Spielart des primitiven Substantialismus, der tief in unserer Kultur verwurzelt ist (und zweifellos auch in anderen, aber nicht notwendig in allen Kulturen). Er unterschiedet ziemlich rigide zwischen primären Qualitäten, die darüber entschieden, was zu Objekten im substantiellen Sinne gehört, und sekundären Qualitäten, die mit den Attributen korrespondieren, die den Objekten zugeordnet werden können. Diese Konzeption spiegelt sich in der gesamten philosophischen Tradition des Westens nieder, anfangend mit Begriffen, die von Descartes und Spinoza in die Welt gesetzt wurden. Es ist klar, dass diese "Weltsicht" etwas mit der Subjekt-Prädikat-Struktur zu tun hat, die besonders in Indo-Europäischen Sprachen vorherrscht.

Für uns sind Primärqualitäten im Allgemeinen visuell und taktil. Taktil, weil die Berührung traditionellerweise das schlechthinnige Kriterium für Materialität darstellt. Visuell, weil die Identifikationsprozesse, die für das heutige Leben und für Produktionstechniken notwendig sind, auf dem Gesichtssinn vor allen anderen Sinnen beruhen (nur in der Sprache wird der Rang des Hörens rehabilitiert, vielleicht aus kompensatorischen Gründen). Das Thema ist zu weit für diese Untersuchung. Gleichwohl kann man anfangen, bestimmte Qualitäten zu unterschieden, die "sekundär" scheinen: Schall (wie oben erinnert), olfaktorische Qualitäten (ein "Duft" ist kaum ein Objekt), und sogar Subdimensionen der visuellen Ordnung, wie etwa Farbe.

In einem Bekleidungsgeschäft werden zwei Kleidungsstücke, die denselben Schnitt haben und sich nur durch die Farbe unterscheiden, betrachtet als "derselbe Pullover (oder ein Paar Unterhosen) in zwei verschiedenen Farben". Kultur hängt von der Permanenz des Objekts ab, die Sprache bekräftigt es: Nur das Adjektiv wurde verändert. Doch wenn die beiden Kleidungsstücke dieselbe Farbe, aber einen unterschiedlichen Schnitt haben, wird niemand sagen oder denken, dass der Laden "die selbe Farbe in zwei unterschiedlichen Kleidungsstücken" angeboten hat (eine unrichtge Formulierung, doch nicht durch Zufall, denn Farbe steht in der grammatischen Position des Subjekts). Man würde eher sagen, dass da "zwei Kleidungsstücke" waren, dieser Schal und dieser Rock zum Beispiel, "in derselben Farbe". Die Äußerung verweist die Farbe auf ihren Platz als Prädikat zurück: Dies sind zwei unterschiedliche Objekte, die ein gemeinsames Attribut teilen.

"Off-Screen Sound" im Film

Die Unterschiedung zwischen Primär- und Sekundärqualitäten spielt eine zentrale Rolle bei einem der klassischen Problemstellungen der Filmtheorie, der des "off-screen sounds". Im Film wird ein Schall dann "off" (wörtlich: weg von der Leinwand) genannt, wenn es sich genauer gesagt um die Schallquelle handelt, die ausserhalb der Leinwand liegt; weshalb auch die "off-screen voice" definiert ist als eine Stimme, die einem Darsteller gehört, der nicht (visuell) auf der Leinwand erscheint. Wir haben einen Hang zu vergessen, dass Schall an sich niemals "off" oder weg ist: Entweder ist er hörbar oder er existiert nicht. Wenn er existiert, kann er unmöglich im Innern der Leinwand untergebracht sein, oder außerhalb der Leinwand, denn das Wesen on Schällen besteht darin, sich mehr oder weniger stark in der ganzen Umgebung zu verteilen: Schall ist zugleich "in", vor, hinter der Leinwand, im gesamten Kinosaal.

Dagegen, wenn man von einem visuellen Element sagt, es sei "off", dann ist es das in der Tat. Es kann rekonstruiert werden im Rückschluss auf das, was im Viereck sichtbar ist, aber man kann es nicht sehen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der "Lockvogel": Die Präsenz einer Person am Bildrand wird vermutet, wenn man nur eine Hand oder eine Schulter sehen kann; der Rest fällt aus dem Bildfeld.

Die Sache ist klar: Die Sprache, die von Technikern und Studioleuten gesprochen wird, konzeptualisiert Schall – ohne es zu merken – in einer Weise, die nur für das Bild Sinn macht. Wir behaupten vom Klang zu sprechen und denken dabei, dass das Bild die Schallquelle ist.

Dieser Kurzschluß ist offenbar bedingt durch ein Charakteristikum von Schall, das physisch und nicht sozial ist: Die räumliche Verankerung von hörbaren Ereignissen ist viel undeutlicher als die von visuellen Ereignissen. Die beiden sensorischen Ordnungen haben nicht das selbe Verhältnis zum Raum, das Verhältnis des Hörbaren ist viel weniger präzise und restriktiv, selbst wenn es eine allgemeine Richtung abbildet (doch es bildet selten einen präzisen Ort ab, was im Gegensatz dazu die allgemeine Regel für das Sichtbare darstellt). Es ist völlig verständlich, dass Filmtechniker ihre Klassifikation am weniger flüchtigen der beiden Elemente gebildet haben. (Dennoch sollte daran erinnert werden, dass die phylogenetische Auswahl eines bestimmten akustischen Materials, dem Klang der Stimme, als Signifikant der menschlichen Sprache, wahrscheinlich von ähnlichen Gründen abhängt: phonische Kommunikation wird nicht unterbrochen durch Dunkelheit oder Nacht. Man kann mit jemandem sprechen, der hinter einem oder hinter etwas anderem steht, oder dessen Ort unbekannt ist. Die vergleichsweise schwache Verknüpfung mit dem Raum bietet viefältige Vorteile, in deren Genuss der Mensch nicht gekommen wäre, hätte er eine visuelle Sprache gewählt.)

Um aber auf den Off-screen sound zurückzukommen: Die Gesetzte der Physik erklären nicht adäquat diese andauernde Verwirrung zwischen dem Hörobjekt für sich genommen und dem visuellen Objekt seiner Quelle (doch sogar die genaueste Definition von Off-screen sound beruht auf dieser Verwirrung). Es gibt dahinter noch etwas anderes, etwas Kulturelles, dem wir in dieser Untersuchung schon begegnet sind: Der Konzeption von Hörbarem als Attribut, als Nicht-Objekt, und damit einhergehend der Tendenz, seine eigenen Charakterzüge zugunsten der ihm zugrundeliegenden "Substanz" zu vernachlässigen, die in diesem Fall das sichtbare Objekt als Schallquelle ist.

Semiologie und Phänomenologie

Die Überschrift eröffnet eine epistemologische Fragestellung, die nicht neu ist. Es scheint mir, dass das semiologische Projekt in seiner Gesamtheit, wegen seiner Verankerung in der Idee eines wahrnehmbaren Sinifikats und seinen wahrnehmbaren Transformationen usw. sich selbst in gewisser Weise als Fortsetzung der phänomenologischen Inspiration begreift. […]

Natürlich sind solche "Fortsetzungen" immer auch Aufhebungen, Reaktionen. Die Phänomenologen wollten die spontane Apprehension von Dingen "beschreiben" (und sie taten das mit einer Korrektheit, die weniger schnell aus der Mode kommen wid wie bestimmte semiologische Übertreibungen). Sie waren sich dabei aber nicht genügend der Tatsache bewußt, dass diese "Apprehension" selbst ein Produkt ist und daher sehr wohl "anders" sein kann in Kulturen außerhalb des Beschreibenden. Doch (und ich möchte keine Paradoxien schaffen) bleibt es wahr, dass diese Ergebnisse zugleich auch Anfänge sind. Es ist eine große Illusion des Positivismus, die Augen vor allem zu verschließen, was nicht-wissenschaftlich an einer Wissenschaft oder dem mühsamen Weg hin zu einer Wissenschaft ist. Ohne diesen Anteil aber könnte sie gar nicht existieren. Wir sind in gewissen Momenten alle Phänomenologen, und diejenigen, die sich erklärtermaßen als solche begreifen, haben immerhin das Verdienst, eine bestimmte Art der Beziehung zur Welt zuzulassen, welche zwar nicht die einzig mögliche oder auch erstrebenswerte Beziehung ist, aber eine, die in jedem existiert, auch wenn sie verborgen ist.

Wenn ich über mein eigenes Forschungsfeld nachdenke, kinematographische Analyse, wie könnte oder sollte ich vor mir selbst die Tatsache verbergen, dass eine ganze Masse von vorausgehendem kulturellen Wissen, ohne das ein ?erstes Sehen? eines Films noch nicht einmal als "Sehen" bezeichnet werden könnte (ganz zu schweigen vom nachfolgenden Anschauen des Films, das zunehmend fragmentiert, weniger deskriptiv und, in anderer Hinsicht, immer mehr, semiologisch? wird), – dass also notwendig eine ganze Menge Wissen schon in meiner unmittelbaren Wahrnehmung mobilisiert wird, damit jene überhaupt funktioniert? Und wie könnte ich leugnen, dass diese Wissensmasse das "perzeptuelle cogito" der Phänomenologie darstellt? Der Inhalt ist derselbe, nicht aber der Status, den wir ihr beimessen.

In dieser Untersuchung wollte ich zeigen, dass das perzeptuelle Objekt eine konstruierte Einheit ist, ein soziales Konstrukt, und bis zu einem bestimmten Punkt auch eine linguistische Einheit. Wir sind ziemlich weit entfernt von einer dramatischen Rivalität von Subjekt und Objekt, dem kosmologischen wie der existentiellen (oder wenigstens transzendentalen) "da ist es", in dem die Phänomenologie unsere Präsenz in den Objekten und die Präsent der Objekte in uns verorten wollte. Ich bin mir nicht sicher, ob diese "Distanz" nur an der Länge bestimmter Achsen anzusiedeln ist, oder ob sie einen kompletten Bruch des Horizonts bedeutet. Offensichtlich sprach ich von Semen, von permanenten optischen Charakteristiken usw., will sagen, von Elementen, deren Natur nicht in einer lebendigen Existenz besteht und die auf der Gegenseite die Bedingungen der Möglichkeit des Gelebten sind, die Strukturen der Produktion, die das Gelebte erschaffen und in ihm verschwinden, Strukturen, die zugleich im Gelebten den Ort ihrer Manifestation und ihrer Negation finden: die objektiven Determinanten des subjektiven Fühlens. Um das Interesse auf diese latente Schicht zu konzentrieren, muss man vom phänomenlogischen Pfad abirren. Doch die manifeste Schicht (neben der Tatsache, dass sie ihre eigene Realität, authorisierendes Potential oder abgeschlossene Untersuchungen aufweist) ist am Anfang die enzig verfügbare Schicht, auch wenn wir sie bald verlassen.

Ich habe versucht zu verstehen, weshalb die Wahrnehmung vermittels Objekten verfährt. Zuerst aber habe ich gefühlt (stark gefühlt), dass sie in der Tat in dieser Weise verfährt: Phänomenologen haben dies auch stets behauptet. In meiner Absicht, die Objekte zu enttarnen, die so nahe am "natürlichen Menschen" sind (und zuerst hatte ich eben dieses Ansinnen), war es nötig, dass ich selbst dieser "natürliche Mensch" bin und von denselben Dingen betroffen bin wie er. Jedes psychoanalytische Projekt beginnt mit einer "Phänomenologie", gemäß der Terminologie des Analytikers. Das trifft nicht nur für diese Domäne zu. Immer wenn etwas erklärt werden muss, ist es klüger mit der Erfahrung zu beginnen.

Aus: Christian Metz, Le perçu et le nommé, in: Essais semiotiques; engl. in: Elisabeth Weis u. John Belton (Hrsg.), Theory and Practice of Film Sound, New York 1985, S. 154–161.

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Hörprobe, die

von hören und Probe, nach den Bedeutungen aus dem Grimmschen Wörterbuch (Bd. 13, Sp. 2140) hier im wesentlichen "ein zu untersuchendes oder untersuchtes theilchen, aus dessen qualität man auf beschaffenheit, gehalt und güte des ganzen stückes schlieszen kann, das probestück (probezeichen)".
(1) Auf Audioseiten im Internet (Musik/Hörbuch/Wellnessindustrie) bedeutet H. das Präsentieren von Ausschnitten oder Einzeltiteln ganzer Produktionen oder Alben in Kompressionsformaten, um (im kommerziellen Falle) die Kaufentscheidung zu beeinflussen. Sie werden i.d.R. gestreamt und sind von gängigen Softwareplayern (extern oder implementiert) abspielbar. Die Hörprobe in diesem Sinne wird auch zu kriminalistischen Zwecken benutzt, vgl. die deutschlandweite Fahndung nach dem Entführer Thomas Wolf im April und Mai 2009. "Die Ermittler hoffen, dass Zeugen die Stimme des gesuchten Gewaltverbrechers erkennen und weitere Hinweise geben können" (Til Huber, FAZ, Freitag, 8. Mai 2009, Nr. 106, S. 7: "Einsamer Wolf"; vgl. FAZ.NET; vgl. auch die Audio-Files auf den Seiten der Augsburger Allgemeinen.)
(2) H. als öffentliche Probe eines Ensembles oder Orchesters, bei dem interessierte Hörer zugelassen sind.

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Hörsaal, der

„Du warest, Jüngling! in einem dunkeln Hörsaale: sie klagte: sie seufzete: sie stürmte: sie jauchzete; du fühltest Alles, du fühltest mit jeder Saite mit – aber worüber wars, daß sie, und du mit ihr klagtest, seufzetest, jauchzetest, stürmtest? Kein Schatte von Anschauung; Alles regte sich nur im dunkelsten Abgrunde deiner Seele, wie ein lebender Wind die Tiefe des Oceans erreget. Wie? wenn ein deutlicherer Menschlicher Ausdruck der Leidenschaft dazu käme, die die Tonkunst nur so undeutlich sagte? Menschlicher Ausdruck durch die Sprache? ist zwar deutlicher; aber nur gar zu deutlich. Da diese willkürlich, da sie mit der Natur der Empfindungen also nicht so innig verbunden ist: so wird sie zwar aufklären, aber nicht verstärken: sie wird eher abwenden und schwächen. Sollte es also keinen natürlichen Menschlichen Ausdruck der Leidenschaft geben, der so unmittelbar und unwillkürlich sei, als Accent, als Ton selbst? Allerdings! Ausdruck in Körper, in Miene, in Stellung, in Bewegung, in Handlung; wie sich in diesen die Seele so natürlich und ganz äußert – welch ein Ausdruck! welche Würkung! Und wenn nun die Musik ihre Töne hinzufügte – doch nein! nicht hinzufügte, sondern Jedes von Jenem so natürlich belebte, als es die Leidenschaft vorbringt, und es mit jedem Ton tiefer einprägte? und nichts über einander herrschte, nicht Musik über das Anschauliche, als bloß um es zu beleben, um ihm Energie zu geben; – das war die Tanzkunst der Alten!“

Johann Gottfried Herder, "Viertes kritisches Wäldchen", in: Sämmtliche Werke, hrsg. von Bernhard Suphan, Bd. 4, Berlin 1878, S. 3–198 (hier 162 f.)

Hörspielzeug, das

meist elektronisches, zunehmend weniger analog bzw. auf rein physikalischem Wege schallerzeugendes Audiospielzeug; vielerorts bekannt als Begleiter von in die wirkungsästhetische Kategorie des Nervigen fallender Kinder. Oft in Form von Babypuppen, mit mehr oder weniger versteckten Schaltern, bisweilen als Kleinspielzeug aus Kunststoff, zumeist als Figur nachgebildeten oder fiktiven Charakters. Hier zwei Beispiele von Beigaben zum McDonalds Happy Meal (TM), ca. 2006: (unten: schallproduktiv) Roboter, der Sequenzen von drei Samples additiv speichert und abspielt (Hörbeispiel); (oben: schallrezeptiv) Audio-Hund, der auf Schalldruck mit rotem und grünem LED-Leuchten reagiert.

Analoges Audiospielzeug läßt sich nach Arten der Klangerzeugung kategorisieren, etwa Idiophone (z.B. klingende Kugelbahnen), Aerophone (etwa alle Arten von integrierten Pfeifen, z.B. das in deutschen Küchen als Zierelement beliebte quietschende Gummihuhn) etc.

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Kopfhörer, der / -in, die

Es könnte einen Unterschied machen, wer am oder im Kopf hört. Dieser Unterschied bedürfte der Formulierung: Weniger der des "Kopfes" als dessen, was als "innen" ("im") bezeichnet wird. Technik hilft, führt aber keinen Schritt nach "innen" weiter. Der Kopfhörer schafft keine Innerlichkeit aufgrund seiner Bauart: der Kopf-Hörer benutzt den Kopfhörer, um "drin", d.h. "in sich" zu sein. Die Technik wird ihn wenig interessieren (es sei denn, er ist Audiophiler). Was macht es für einen Sinn für die diffus wahr- und aufgenommene Quelle, "inwendig" zu sein? 

Lärmbelastung

Tag gegen Lärm

Behörde: Es ist zu laut in Deutschland

BERLIN, 28. April (dpa). In Deutschland ist es zu laut. Die Belastung mit Lärm sei hoch, teilte das Umweltbundesamt am Dienstag in Berlin mit. Anlass war der "Tag gegen Lärm" an diesem Mittwoch. Etwa 13 Millionen Deutsche seien mit Geräuschpegeln belastet, die Gesundheitsrisiken verursachten. Als größte Störung werde der Straßenverkehr angesehen. "Leider herrscht in einigen Städten und Gemeinden noch zu viel Ruhe um den Lärm", sagte Präsident Andreas Troge.

FAZ, Mittwoch, 29. April 2009, Nr. 99, S. 8

Link zum Umweltbundesamt: dort Dokumente mit genaueren Angaben.

lauschen

 Friedrich Schlegel, Die Gebüsche

Es wehet kühl und leise
Die Luft durch dunkle Auen,
Und nur der Himmel lächelt
Aus tausend hellen Augen.

Es regt nur eine Seele
Sich in der Meere Brausen,
Und in den leisen Worten,
Die durch die Blätter rauschen.

So tönt in Welle Welle,
Wo Geister heimlich trauren,
So folgen Worte Worten,
Wo Geister Leben hauchen,

Durch alle Töne tönet,
Im bunten Erdentraume,
Ein leiser Ton gezogen,
Für den, der heimlich lauschet.

Lauschgift

Albumtitel der hannoverschen Hardcore-Punk-Band "Die Boskops" von 1985 (Lyrics), sowie der deutschsprachigen Rap-Band "Die Fantastischen Vier" (Fanta4) von 1995 (Lyrics). Die Intro des letzteren zitiert eine Szene aus dem Spielfilm Frühstück bei Tiffany (1961), in der Schauspieler Mickey Rooney in der Rolle des nörgelnden japanischen Mieters Mr. Yunioshi schimpft.

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Luftpumpe (18. Jh.)

Robert Boyle erfand mit Unterstützung von Robert Hooke 1658/59 die Vakuumpumpe, ein spektakuläres Instrument der experimentellen Naturwissenschaft des 17. Jahrhunderts. Der luftleere Behälter stellte einen völlig neuartigen Versuchsraum dar. "Boyle benutzte den Apparat, um die Elastizität von Luft bzw. die 'Luftfederung' zu untersuchen, und fand so auf empirische Weise schließlich das ihm und Edme Mariotte zugschriebene Gesetz über die Relation von Druck und Volumen bei eingeschlossenen Gasen. Lehrbücher lassen seine Entdeckungen oft täuschend einfach erscheinen und stellen sie als direktes Ergebnis seines Versuchsapparates dar. [...] Forschungen haben jedoch gezeigt, wie komplex die gesellschaftlichen und sozialen Voraussetzungen waren, die bei der Entdeckung neuer Fakten der Natur mittels Apparaten und Experimenten eine Rolle spielten. So gab es [...] ein Jahrzehnt nach Boyles Erfindung höchstens eine Handvoll der kostspieligen Pumpen an unterschiedlichen Orten. Alle waren undicht und ließen sich nur schwer in funktionsfähigem Zustand halten. Unter solchen Umständen Experimente nachzuvollziehen und Versuchseffete zu wiederholen, erwies sich als illusorisch." (Zit. aus: James E. McClellan und Harold Dorn, Werkzeuge und Wissen. Naturwissenschaft und Technik in der Weltgeschichte, Deutsch von Michael Hein und Bernd Rullkötter, Frankfurt am Main 2001, S. 323.)

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Ohrengalerie, die

"Ohrengalerie" nannte sich eine Sendung mit Minderheitenmusik der sogenannten E-Richtung, die von 1989 bis 1990 an jedem ersten Sonntag im Monat im alternativen, 1987 gegründeten Nürnberger Radio Z für jeweils zwei Stunden abends auf Sendung ging und dem Sender vermutlich nicht viele Hörer, aber doch ein Taschengeld aus dem Topf irgend einer staatstragenden Medieninstitution einbrachte. Im Live-DJing wurde die Sendung betreut von dem Musikwissenschaftler Thomas Röder und dem Soziologen Jürgen Rudolph.

„Oh Gott haben wir gedacht, jetzt jeden Abend vier Stunden irgendwas machen (...) Als diese vier Stunden kamen haben alle alles gespielt was sie daheim gefunden hatten.“ (Gerhard Zimmermann, Gründungsmitglied von Radio Z, im Jahr 1997)

Es war nicht ganz so, wie es der damalige Musikdirektor des Senders schildert – das Programm war stets einem Thema verpflichtet und die Stücke entstammten privaten und öffentlichen Ressourcen.
Ach ja – und der literarische Anspruch: der Titel Ohrengalerie entstammt dem Gedicht Ohren im Konzert von Ernst Jandl (Laut und Luise, 1970):

Der pianist lässt seine finger in die flasche rinnen, die ein klavier ist, und die flasche spritzt die finger als kölnischwasser in die ohrengalerie. Die ohren aber haben keine feinen nasen. Daher lassen sie das kölnischwasser in die ohrenständer rinnen, die innen hohl sind bis zu den plüschpolstern, auf denen sie als tiefe brunnen sitzen, und gähnen einander in den mund.

(T.R.)

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reflexiv: sich hören (Selberhören)

Christoph Wulf ("Ohr", 1997, S. 460) hebt in philosophisch-anthropologischer Perspektive die Rückbezüglichkeit des Hörsinns als Konstituens für Identitätskonstruktion hervor. Ein Sprechender hört sich selbst. "Sein Hören folgt seinem Sprechen; es ermöglicht ihm, sich als Sprechendem zu folgen, aöso nach-denklich zu sein. Sieht man von der ontogenetischen Situation ab, in der das Hören dem Sprechen vorausgeht, ja dieses erst ermöglicht, läßt sich nicht entschieden, ob das Sprechen dem Hören oder das Hören dem Sprechen vorausgeht. Wenn ein zu einem anderen Menschen gesprochenes Wort vernommen wird, wird es beim Sprecher und Hörer zum Ausgangspunkt neuer Worte usw. Diese Eigenart des Hörsinns ermöglicht eine Selbstwahrnehmung des Menschen. Nicht nur erlaubt das Hören des Atmens, Bewegens und Verdauens des eigenen Körpers eine elemenare Selbstwahrnehmung und Selbstvergewisserung. Es bewirkt auch eine Selbstaffektation. Diese zeigt sich schon bei den vegetativen Prozessen und wird besonders im Sprechen wirksam. Jedes Sprechen ist auch ein Sprechen zu sich. Daher spielt bei der Konstituion von Subjektivität und Sozialität der Hörsinn eine besondere Rolle."

Aus phänomenologischer Sicht spricht Bernhard Waldenfels (Sinnesschwellen, 1999, S. 196) diesen Aspekt von hörender Sozialität als musikalisches "Zwischengeschehen" an: "Ähnlich wie das Sprechen sich nicht denken läßt ohne ein Sich-sprechen-Hören, so läßt sich das Musizieren nicht denken ohne ein Sich-singen-Hören oder Sich-spielen-Hören. Damit dringt in die musikalische Tätigkeit ein Moment der Andersheit und Fremdheit ein. Ich trete nicht als schlichter Tonproduzent auf, vielmehr überrasche ich mich selbst, wenn die Stimme zum Echo ihrer selbst wird. Wie in der latenten Mehrstimmigkeit mancher Solostücke antwortet die Stimme sicht selbst. Wie zum Gespräch, so gehört auch zum Musizieren eine Art von implizitem Selbstgespräch. Umgekehrt geschieht das Andere-spielen-Hören, nicht ohne daß wir in eine fremde Bewegung einstimmen und auf diese Weise mitspielen. Wer nicht sprechen kann, hört bekanntlich auch anders.
Dies führt zu einem gewissen Primat des Hörens. Jeder von uns wächst auf in einer Welt von Geräuschen, Klängen und Tönen als seinem "Lebenselement". Die Musik fällt nicht vom Himmel, sie beginnt als reprise und response, als Wiederaufnehmen dessen, was wir hören, als Antworten auf das, was uns anspricht. Wie beim Sprechen der eigenen Sprache, die das Kind vom Erwachsenen lernt, und wie beim Erlernen einer Fremdsprache, die der Erwachsene von anderen übernimmt, so geht auch in der Musik die passive weit über die aktive Kompetenz hinaus. Auch das Musizieren erwächst aus dem Hören, und er entwächst ihm nie."

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Schall, der

hörbare Schwingungen eines gasförmigen oder flüssigen Mediums, die durch zeitliche und räumliche Änderungen von Massendichte verursacht wird oder durch Schwingungen von Materie um eine Ruhelage, die sich in ihm als Dichteänderung wellenförmig ausbreiten bzw. die ein Schallgeber (Schallquelle, Schwinger) an ein Medium überträgt. Im Vakuum ist folglich keine Schallausbreitung möglich. Bei den Schallquellen unterschiedet man lineare (Stäbe, Saiten), flächenhafte (Membrane, Platten, Glocken) und räumliche (Rohre, Pfeifen). Von der Schallquelle breiten sich Dichtewellen (Schallwellen) aus, die einander überlagern und verschiedene Frequenzen besitzen. Bei der Ausbreitung werden kein Massen transportiert, übertragen werden nur mechanische Erhaltungsgrößen wie Energie und Impuls. Schalldruck ist ein durch die Schallschwingungen hervorgerufener Wechseldruck, der sich dem statischen (z.B. atmospärischen) Druck überlagert.

Die Schallausbreitung mit der charakteristischen Schallgeschwindigkeit läßt sich für das Schallfeld anhand einer Wellengleichung beschreiben. Dabei gibt es in gasförmigen und flüssigen Medien nur longitudinale, in festen Medien zudem transversale Wellen (Körperschall). Wie auch bei anderen Wellenphänomenen treten beim Schall Brechungen, Beugungen, Reflexionen und Interferenzen auf. Die Schallgeschwindigkeit beträgt bei 0° in Luft 331,6 m/s, in Wasserstoff 1284 m/s, in Wasser 1407 m/s, in Eisen 5100 m/s.

Das "Durchbrechen der Schallmauer" ist eine Metapher für eine starke Zunahme des Luftwiderstands von Flugkörpern, die bei Annäherung an die Schallgeschwindigkeit auftritt. Durch die Verdrängungswirkung des mit Schall- oder Überschallgeschwindigkeit bewegten Körpers werden auf einem mit dem Körper mitbewegten Kegelmantel (Machscher Kegel) Verdichtungsstöße verursacht, die am Boden als Knall wahrgenommen werden, in einem Gebiet (dem sog. Lärmteppich), das durch die Schnittlinie des Machschen Kegels mit der Erdoberfläche begrenzt wird. Diese Druckwelle kann Fensterscheiben zum Bersten bringen. (Vgl. dtv-Brockhaus-Lexikon, Wiesbaden und München 1982, Bd. 16, S. 86, von dort die Abbildung unten.)

Im menschlichen Gehör wird Schallempfindung (Gehöreindruck) zwischen 16 Hz und 20 kHz hervorgerufen. Frequenzen unter 16 Hz werden als Infraschall, über 20 kHz als Ultraschall, über 109 Hz als Hyperschall bezeichnet. Die Unterschiede des Schallspektrums lassen Differenzierungen der Schallempfindungen zu in Knalle, Geräusche, Klänge oder Töne.

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Sirene, die

Seirenes (Sirenes, -ae). "Das Schiffermärchen der Odyssee (12,39ff., 158ff.) verwertet nur einige Züge des Volksglaubens. Sein Schwergewicht liegt auf dem Streich, den Odysseus auf Kirkes Rat ihnen spielt (er verstopft die Ohren der Gefährten mit Wachs, läßt sich selbst an den Mastbaum binden). In ihrer Sangeskunst und ihrer Allwissenheit scheint eine Angleichung an die Muse vorzuliegen." Von ihrer Gestalt und ihrem Schicksal erfahren wir nichts, so dass Dichtern, Mythographen und Künstlern Raum zu reicher Ausdeutung blieb. Die Homerische Zweizahl wurde zur Dreizahl erweitert, man erdichtete einen Sängerwettstreit mit den Musen, nach dessen Niederlage die Sirenen sich den Freitod gaben und zu Klippen an der großgriechischen Küste verwandelt wurden. Seit dem 8. Jahrhundert wurden die Sirenen als Vögel mit Menschenkopf dargestellt. Von Haus aus sind sie wohl Todesdämonen, verwandt mit den Harpyien und Lamien (gierig nach Blut und Liebesgenuss). Sirenen auf den Gräbern seit ca. 400 bedeuten nicht den Toten bzw. dessen Seele, sondern ein Wesen, das ihm durch elegischen Gesang den Weg ins Jenseits erleichtert. 

Vgl. H. v. G. Art. "Seirenes", in: Konrat Ziegler u.a. (Hrsg.), Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, München 1975, Bd. 5, Sp. 79 f.; Alexander Becker, Art. "Sirenen", in: Ludwig Finscher (Hrsg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite Ausgabe, Sachteil Bd. 8, Kassel etc. 1998, Sp. 1489-1491.

Sirene: Gerät zum Erzeugen eines starken Schalls durch periodische Unterbrechung eines Luftstroms, erfunden 1819 von Charles Cagniard de la Tour, der mit der Benennung an die mythologischen Sirenen anknüpfte. Charakteristisch ist der stufenlos ansteigende und fallende Ton (vox continua). Vgl. die (private) Seite von Lutz Leininger und Andreas Birner über Hochleistungssirenen.

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Sirenen bei Homer

Odyssee, Zwölfter Gesang, V. 153-200. Übersetzung: Roland Hampe (Stuttgart 1979)

Da sprach ich zu meinen Gefährten bekümmerten Herzens:
'Freunde, nicht einem allein oder zweien gebührt es zu wissen,
Welche Geschicke mir Kirke, die hehre Göttin, verkündet,
Sondern ich will sie euch sagen, damit wir wissend entweder
Sterben oder, den Tod vermeidend, dem Schicksal entrinnen.
Erstens gebietet sie uns, der gotterfüllten Sirenen
Tönenden Sang zu meiden sowie ihre blumige Wiese.
Mich allein hieß sie die Stimme zu hören; doch ihr sollt
Dann mit schmerzender Fessel, damit ich dort unverrückt bleibe,
Aufrecht mich an den Mastschuh binden, mit Tauen umwunden.
Wenn ich dann flehe und euch befehle, ihr möchtet mich lösen,
Alsdann sollt ihr mich fester mit noch mehr Banden umschnüren.'
Also sagte ich jedes und teilte es mit den Gefährten;
Rasch gelangte indes, von günstigem Wind getrieben,
Unser treffliches Schiff zur Insel der beiden Sirenen.
Plötzlich setzte der Wind dann aus, und heitere Stille
Ward es ohne Wind; ein Dämon legte die Wogen.
Da erhoben sich meine Gefährten und bargen die Segel
Nun im bauchigen Schiff, und an die Ruder sich setzend,
Schlugen das Wasser sie weiß mit ihren geglätteten Fichten.
Ich aber schnitt mit dem scharfen Erz eine mächtige Scheibe
Wachs in Stücke klein und preßte die fest mit den Händen;
Rasch ward warm das Wachs, von großer Stärke getrieben
Und von des Helios Strahl, des Herrn, des Hyperionsohnes;
Nach der Reihe verklebte ich allen Gefährten die Ohren.
Die aber banden im Schiff mich fest an Händen und Füßen
Aufrecht stehend am Mast, an ihm mit Tauen befestigt.
Und sie schlugen im Sitzen das graue Salz mit den Rudern.
Als wir so weit entfernt, als reicht eines Rufenden Stimme,
Zügig fahrend, entging ihnen nicht das eilende Fahrzeug,
Wie es da nahe kam, und sie stimmten den hellen Gesang an:
'Komm, gepriesner Odysseus, du großer Ruhm der Achäer,
Lege dein Schiff hier an, um unsere Stimme zu hören;
Denn hier fuhr noch keiner im schwarzen Schiffe vorüber,
Eh er due honigtönende Stimme aus unseren Mündern
Hörte; er kehrt dann heim, erfreut und reicher an Wissen;
Denn wir wissen dir alles, wieviel in Troja, dem weiten,
Die Argeier und Troer mit Willen der Götter gelitten,
Wissen, was immer geschieht auf der vielernährenden Erde.'
So die Sirenen mit schönem Gesang; mein Herz aber wollte
Mehr noch hören und hieß die Gefährten die Bande lösen
Durch einen Wink mit den Brauen; die legten sich vor in die Ruder.
Gleich erhoben sich da Eurylochos und Perimedes,
Banden mich an mit noch mehr Tauen und schnürten noch fester.
Aber nachdem wir an ihnen vorübergefahren und nicht mehr
Hörten den tönenden Laut und Gesang der beiden Sirenen,
Nahmen die werten Gefährten das Wachs, mit dem ich die Ohren
Ihnen verklebt, rasch ab und lösten mich selbst aus den Banden.

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Tonspuren

Wie klingt Schnee? Wie klingt das Jahr 2050? Wie viele Tonspuren braucht ein Film? Ein Artikel über den Cheftonmeister der "Bavaria", Michael Kranz: Karolina Wrobel, "Kranz' Ohr", in: cinearte XL 002, Sept. 2006, S. 46-53. Download bei www.cinearte.net.

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Unerhört / unhörbar (Einheit der Sinne, was wir als Kinder gewußt haben)

"Verlässt man den Bezirk europäisch-westlicher Kultur, wird erst recht deutlich, dass das uns schwer Begreifliche vielfach ein Selbstverständliches bedeutet – und es wenig besagt, Musik, nach Art der Konversationslexika, als künstlerisch geordneten Schall einzuordnen, in beruhigtem An-und-für-sich-Sein, ästhetisch abgeschirmt. Jedenfalls mag die berühmte Frage von Charles Ives "What does music have to do with sound?!" – der ärgerliche Akzent auf dem "does" erzwingt die Übersetzung: "Was, zum Teufel, hat Musik überhaupt mit dem Klang zu schaffen?!" – fruchtbar werden für die Entdeckung einer Fülle des Musik-Möglichen. Und: für eine Fülle des in Musik Lebensmöglichen. | […] Erich Moritz von Hornbostel […] war von solcher Entdeckerfreude wahrhaft besessen und beseelt. In einer aus dem Jahr 1931 stammenden Schrift "Über Geruchshelligkeit" schildert er eine provozierende […] Experimentalanordnung. Versuchspersonen, die musikalisch nicht ungebildet waren, aber auch nicht theoretisch vorbelastet, hatten sich der Aufgabe zu unterziehen, Gerüche (!), Farbwerte und Tonhöhenstufen einander zuzuordnen, kraft eines Dreiecks-Urteils […]. Zunächst […] verwahrten sich die Probanden gegen diese Herausforderung. Kaum jedoch waren die ersten Einstiege in das Testprogramm gefunden, zeigte sich, das das unmöglich Scheinende mühelos gelang. Nachweisbar wurde die über verschiedene Wahrnehmungskanäle hin gleichsinnig wirksame Kategorie der "Helligkeits"-Empindung. An anderer Stelle […] fasst Hornbostel das Resultat lakonisch-essayistisch zusammen: "Alle Leute finden auf dem Klavier denselben Ton, der so hell klingt, wie Flieder duftet." Und er fügt die taoistischen Sätze an: "Uns sind … Hören und Sehen, Drinnen und Draußen, Seele und Leib, Gott und Welt zerfallen. Was wir als Kinder gewußt haben, gehn wir nun suchen. Nur alte Kinder – Künstler und Weise – wissen es immer, blicken das Leben vor sich hin, lauschen dem Blühen ringsum.""

Zit. (und Leseempfehlung): Christian Kaden, Das Unerhörte und das Unhörbare. Was Musik ist, was Musik sein kann, Kassel/Stuttgart 2004, S. 17. [Erich Moritz von Hornbostel, Die Einheit der Sinne, in: Melos 5 (1925), S. 290–297.]

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Vier-Ohren-Modell

Kommunikationsmodell des Psychologen und Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun. Das Vier-Ohrenmodell von 1981 betrachtet es als grundlegendes Charakteristikum menschlicher Kommunikation, dass eine Botschaft stets vier Seiten hat, die sowohl vom Sender wie vom Empfänger unterschiedlich gewichtet sein können: die Sachinformation (das worüber), die Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe), der Beziehungshinweis (was halte ich von dir, wie stehe ich zu dir) und den Appell (was ich beim Gegenüber erreichen möchte). Vgl. F. Schulz von Thun, Miteinander reden 1, Störungen und Klärungen, Reinbek bei Hamburg 1981; ders., Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, ebenda, 1989, bes. S. 19-27. Kurzdarstellung auf http://www.schulz-von-thun.de/mod-komquad.html.

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Zuhören (drei Arten des Zuhörens)

Roland Barthes unterscheidet in seinem Artikel zum "Zuhören" für die Encyclopédie Einaudi zwischen dem Hören als physiologischem Phänomen und dem Zuhören psychologischem Akt, der sich nur durch sein Objekt (oder seine Ausrichtung) beschreiben lasse. Dieses Objekt aber hat in der Menschheitsgeschichte variiert (und variiert noch). Barthes unterscheidet drei Typen des Zuhörens:
(a) Das Indizien-Hören, das Horchen auf Geräusche die etwas ankündigen: Alarm-Funktion.
(b) Das entziffernde Zuhören: Ich höre Zeichen. Ich höre, wie ich lese, nämlich nach Codes.
(c) Das Signifikanz-Hören: Die dritte Art des Zuhörens zielt nicht auf bestimmte (begrenzte) Zeichenklassifikationen, sondern erfaßt eine allgemeine Signifikanz. Es entfaltet sich in einem intersubjektiven Raum, in dem "ich höre zu" auch heißt "höre mir zu". Bei diesem Zuhören entfalten Bestimmungen des Unbewußten Bedeutsamkeit.

(a) Zum Indizien-Hören: Das Gehör scheint beim Menschen - zusammen mit dem Sehen - wesentlich mit der Einschätzung der räumlich-zeitlichen Situation verbunden zu sein. Die menschliche Aneignung des Raums ist schallbedingt (Beispiel: der vertraute häusliche Raum als eine Art häusliche Symphonie). Hören ist der Sinn des Territoriums: Franz Kafka schreibt von seinem Zimmer als dem "Lärmhauptquartier der ganzen Wohnung". Hören ist selektiv: Aus einem überschwemmenden Hörhintergrund, aus einer akustischen Verschmutzung heraus wird, in schützender, identitätsbildender Weise, aussortiert. Neben der Schutz- gibt es die Beutefunktion, das Lauschen auf Bedrohung, dessen Reste sich deutlich im zivilisierten Hören wiederfinden (z.B. Gruselfilme). Morphologisch entspricht der Bau des Ohrs den beiden Funktionen: Die gefaltete, gewundene Ohrmuschel nimmt möglichst viel auf, was auf einer Siebstrecke zur zentralen neuronalen Verarbeitung reduziert wird.
(b) Zum Chiffren-Hören: Ohne Rhythmus ist keine Sprache möglich: Das Zeichen beruht auf einem Paradigma, das Barthes unter "einer Hin- und Herbewegung zwischen dem Merkmaltragenden und dem Merkmallosen" begreift. Der Rhythmus ermöglicht eine schöpferische Signifikation, die über das bloße Indizien-Hören hinausgeht: Barthes führt das Freudsche Beispiel des Kindes an, das die An- und Abwesenheit der Mutter in einem Spiel nachahmt, bei dem es eine an einer Schnur befestigte Spule wirft und wieder aufliest. Das Kind hört nicht nur auf das Mögliche und sich ereignende, sondern unternimmt eine Art Chiffrierung und Dechiffrierung der Wirklichkeit.
Zuhören entfaltet so eine Art von Hermeneutik. Die Kommunikation, die mit dieser Art Hinhören verbunden ist, ist vornehmlich eine religiöse: Sie verbindet das hörende Subjekt mit der verborgenen Welt der Götter (Weissagungen, Orakel). Zuhören ist das evangelische Wort par excellence. Glaube läuft auf ein Hinhören auf das Wort Gottes hinaus. (Beispiele der protestantischen Kirche als Ort des Zuhörens, der gegenreformatorischen Kirche mit der Kanzel in der Mitte als Ort, der das Zuhören erzwingt.) Was möchte das Zuhören entziffern? Zweierlei: die Zukunft (die den Göttern gehört) und die Schuld (sofern sie dem Blick Gottes entspringt). Dieser paradigmatische  Wechsel vom Zuhören auf göttliche fatum zum Hören auf das Geheimnis des Herzens oder die Schuld, legt nahe, dass eine Geschichte des Hörens mit der Geschichte und Phänomenologie der Innerlichkeit einhergehen müßte. Die Urchristen lauschten äußeren Stimmen (Dämonen und Engel), "erst allmählich verinnerlichte sich das Objekt des Hinhörens so sehr, daß es zu bloßen Bewußtsein wurde". Über die Bedeutung der Ohrenbeichte, den Zuhören des Inneren des Anderen, kommt Barthes auf das phatische Moment (Jacobson) der Mitteilung zu sprechen und fasst das Telefon als archetypisches Instrument des modernen Zuhörens, indem es zwei Partner in einer idealen Intersubjektivität, unter Beseitigung aller anderen Sinne, vereinigt. "Die Anweisung zum Zuhören, die jede telephonische Kommunikation eröffnet, fordert den anderen auf, seinen ganzen Körper in der Stimme zusammenzuballen." Das zweite Zuhören verwandelt den Menschen in ein "duales Subjekt": Das Zuhören spricht, womit ein Stadium des psychoanalytischen Zuhörens erreicht ist.
(c) Zum Signifikanz-Hören: Im Rahmen dieser Übertragungsmetapher schreibt Freud, der Analytiker solle dem gebenden Unbewußten des Kranken "sein eigenes Unbewußtes zuwenden, sich auf den Analysierten einstellen wie der Receiver des Telefons zum Teller eingestellt" sei. Diese Art des Zuhörens verlangt kein bloß eigennütziges Indizienhören und keine eindeutige Decodierung mehr, sondern eine "gleischwebende Aufmerksamkeit", die das bewußte Aussondieren und Merken auf der Spurensuche im Unbewußten nach Möglichkeit suspendiert. Ein vollkommenes theoretisches Schild dieser Art ist jedoch, wie Barthes herausarbeitet, nicht möglich: Vielmehr bestehe die Originalität des psychoanalytischen Hörens in einer Hin- und Herbewegung zwischen Neutralität und Engagement, Ausblenden der Steuerung und Theorie: Das Ohr muss geöffnet sein für beides: Ordnung und Singularität. Dabei ist der Signifikant das wesentliche Objekt des Hörens: Das Hören folgt den Spuren des Signifikanten, seinen Formen der Überdetermination (Barthes spricht von einer "Hotellerie des Signifikanten"). Das Zuhören wird zu einem "Erhaschen des Signifikanten" im Sprechen des Subjekts, das durch sein Sprechen seine Geschichte reaktualisiert und sein unbewußtes Begehren freilegt. Der Analytiker hingegen lernt, die Sprache des Unbewußten seines Patienten zu "sprechen". Zugleich muss er Anerkennung lernen: Die Anerkennung des Begehrens des anderen. Hierdurch enthält das Zuhören ein Risiko: Es kann nicht im Schutz eines theoretischen Apparates stattfinden. "Der Psychoanalytiker kann nicht, einem an den Mast gefesselten Odysseus gleich, das Schauspiel der Sirenen gefahrlos genießen, ohne dessen Konsequenzen zu akzeptieren. Ein Ausweg besteht im Ausweichen auf den nicht mehr unmitelbaren, sondern den erzählten Gesang, etwa das schriftliche Fixieren und Interpretieren der Fälle Siegmund Freuds. Das Zuhören hat hier, in der fixierten Form, eher mit Bildern zu tun: Der Traum ist ein geradezu streng visuelles Phänomen, das ans Ohr gerichtete gerinnt zu akustischen Bildern.
Nach der Erfahrung durch die Psychoanalyse gleicht das moderne Hören laut Barthes nicht mehr den älteren Formen des Hörens (auf Indizien und Chiffren), auch wenn diese Hör-Modi parallel weiterexistieren. Konsequenzen nämlich ergeben sich hinsichtlich der Intention: (1) Während Jahrhunderte hindurch der Hörakt als intentional definiert wurde (mit vollem Bewußtsein hören wollen), wird heute die Fähigkeit des Hörens erkannt, dass es "unbekannte Räume abzutasten" in der Lage sei. Das Zuhören schließt nicht nur das Unbewußte in sein Feld ein, sondern "sozusagen weltliche Räume": das Implizite, das Zusätzliche, das Hinausgezögerte. "Es gibt eine Öffnung des Hörens auf alle Formen der Polysemie": Das alte Hören war "beflissen", vom neuen dagegen verlangt man, dass es "auftauchen läßt". Auf diese Weise wird ein Wiederanschluss ("Windung der historischen Spirale") zur "Konzeption eines panischen Zuhörens" in der Vorstellung der Griechen, konstatierbar. (2) Hörakte sind nicht mehr so starr wie früher: Die Orte des Sprechens sind immer weniger durch die Institutionen geschützt. Ein gleiches ließe sich von den Orten des Hörens sagen. Dadurch werden die traditionellen Grenzen des arroganten und servilen Zuhörens aufgeweicht. Freies Hören ist zirkuläres, permutierendes Hören. (3) Das, worauf gehört wird, ist immer weniger das Auftreten eines Signifikats, sondern die Streuung, das Spiegeln der Signifikanten: "Dieses Phänomen des Spiegelns nennt man Signifikanz (es unterschiedet sich von der Bedeutung): beim "Anhören eines klassischen Musikstücks wird der Zuhörer aufgefordert, dieses Stück zu "entziffern" [...]; beim Anhören einer Komposition [...] von John Cage jedoch höre ich jeden einzelnen Ton nacheinander, nicht in seiner syntagmatischen Ausdehnung, sondern in seiner rohen und gleichsam vertikalen Signifikanz: Indem sich das Zuhören dekonstruiert, veräußerlicht es sich und zwingt zum Verzicht auf seine "Intimität"." Das Pendant zu einer Freiheit des Sprechens besteht in einer Freiheit des Zuhörens: als Spiel zwischen den zwei modernen Gottheiten, der Macht und dem Begehren.

Quelle: Roland Barthes, "Zuhören", in: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Aus dem Französischen von Dieter Hornig, Frankfurt am Main 1990, S. 249-263.

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